Erfahrungen aus der Entwicklung einer Assoziation zur Getreidevermarktung

Klaus Wais, Teil 1 (Teil 2 folgt im nächsten Info-Brief)

Die Getreidevermarktung umfasst den Schritt vom Anbau zur aufnehmenden Hand; zu den Verarbeitern, zu den Bäckern. Erst möchte ich erzählen, wie unsere assoziative Getreidevermarktung entstanden ist, um dann aus der Erfahrung wesentliche Gesichtspunkte zur Bildung von Assoziationen aufzuzeigen.

Während der Nachwehen der 68er Bewegung bin ich in die Landwirtschaft zurückgekommen, und habe, 30 Jahre alt, den elterlichen Betrieb übernommen. Ich wollte Landwirtschaft lernen und verstehen, wie diese gesund in die Zukunft gebracht werden kann. Der Betrieb lag in der Nähe von Stuttgart. Stuttgart zeichnete sich damals durch einen regen Naturkostmarkt, große Nachfrage und teilweise einem Mangel an Produkten aus. Die Mühle, die sich in der Nähe befindet, die Eselsmühle, ist eigentlich mehr eine Bäckerei. Als wir den Betrieb umstellten, waren die Leute, die die Mühle bzw. Bäckerei führten hell begeistert, denn bis dahin wurde der Weizen aus Australien importiert. Damals konnten wir bereits die Umstellungsware abgeben, da wir uns kannten. Drei Jahre später, von 1988 bis 1991, hatte sich die Demeter-Anbaufläche in Deutschland verdoppelt. Im Jahr 1992 hatte ich noch die Ernte des Vorjahres auf dem Speicher, als schon die nächste Ernte hereingeholt werden sollte. Da noch weitere drei Höfe zu unserer Gruppe dazukamen, war plötzlich viel zu viel Getreide vorhanden. Daraus ergab sich für mich der erste Ansatzpunkt darüber nachzudenken, was Landwirtschaft mit Wirtschaft zu tun hat.

Der erste Lernschritt war zu erfahren, dass sich ein Abnehmer nur so lange für den Lieferanten interessiert, wie er die Gefahr einer Unterversorgung sieht. Sobald sich dies umdreht, hat er nur noch den Blick nach vorne, auf seinen Absatz. Im kleinen Kreis der Lieferanten dieser Mühle haben wir uns gefragt: Wer baut eigentlich was an? Was braucht die Mühle überhaupt? Da die Mühle bis zu dem Zeitpunkt immer in einer Mangelsituation gewesen war und all unser Getreide abgenommen hatte, war diese Frage nicht im Bewusstsein. Wieviel Getreide eigentlich benötigt wird, konnte in dieser neuen Überschuss-Situation zunächst gar nicht konkret benannt werden.

Danach machten wir in dem kleinen Kreis den zweiten Lernschritt. Wir lernten, dass nur ein Gleichgewicht entstehen kann, wenn die Probleme aller Marktpartner gelöst werden. Es war uns klar, dass wir als regionale, neue Betriebe die weiter entfernten Lieferanten ablösen würden. Wenn wir das Problem dieser entfernten Betriebe nicht auch lösen konnten, würden wir einfach den üblichen Verdrängungswettbewerb verfolgen, in dem sich alte und neue Lieferanten unterbieten und der Preis dadurch sinkt. Im Jahr 1988 haben wir in Deutschland mit einem Preis von 93 DM/100 kg begonnen. Dieser hat sich innerhalb weniger Jahre bis auf ein Niveau von 60 – 50 DM/100 kg abgesenkt. Damals habe ich als erster „Extensivierer“ an einem Getreideerzeugergespräch teilgenommen und erlebt, dass die Prämienzahlungen als Argument für niedrigere Erzeugerpreise ins Feld geführt wurden. Da entstand bei mir die Frage, ob wir denn dieses Geld bekommen, um unsere Arbeit zu machen oder um die Verarbeiter günstiger zu versorgen?

Das waren die Ausgangspunkte für die Gespräche unter den Getreideerzeugern, die in den 90er Jahren ihren Anfang genommen haben. Der Impuls war, sich als Erzeuger zusammenzuschließen, um gesprächsfähig und vereinbarungsfähig zu werden. Durch den Einbezug der Mühle konnte der Kreis erweitert werden. Ich möchte an dieser Stelle auf zwei Dinge aufmerksam machen: Erstens haben wir den Zusammenschluss nicht gemacht, um einer einzelnen Gruppe Vorteile zu verschaffen. Wir haben uns vielmehr zusammengeschlossen, um „das Ganze“ zu verstehen und mit einzubeziehen. Zweitens wird häufig gesagt, dass man mit denen anfangen müsse, die wollen. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass solange Einzelne nicht dabei sind, die Vereinbarungen sozusagen untergraben werden, und wir zu keinem sinnvollen Ergebnis kommen können.

Im weiteren Verlauf haben wir uns zuerst als GbR organisiert und ab 2001 als GmbH. Inzwischen sind es 70 Betriebe, die gemeinsam die Vermarktung organisieren. Wir haben es geschafft, alte und neue Lieferanten in ein Boot zu holen, mit dem Ziel eine stabile Partnerschaft zwischen Erzeugern und Verarbeitern zu bilden. Ich denke, dass dies der erste Schritt für ein assoziatives Zusammenarbeiten ist. Kennzeichnend für eine solche Zusammenarbeit ist, dass zeitlich, mengenmäßig und räumlich eine Partnerschaft entsteht. Die 4 zeitliche Partnerschaft bedeutet, dass ich ein Jahr liefere und möglichst das nächste und das übernächste Jahr auch noch. Die erzeugten Mengen sollten reibungslos abgenommen werden und es muss eine räumliche Struktur, die auf sinnvollen regionalen Bezügen basiert, geschaffen werden. Das ist die erste Stufe assoziativer Wirtschaftsbeziehungen, durch welche der „reine Markt“ überwunden wird.

Darüber hinaus ist uns klargeworden, dass es nicht reicht, diese Zusammenhänge nur regional anzugehen. Die Region ist immer ein Teil eines Ganzen und nie ein in sich abgeschlossener Organismus. Die Frage der Vernetzung ist daher sehr wichtig. Unser Vorgehen ist, dass wir einerseits in einer Region zusammenarbeiten und andererseits bundesweit zusammenkommen. Regionalität heißt nicht, sich in einer Region abzugrenzen, sondern ein Bewusstsein in einer Region zu bilden, was gibt es hier an Mengen, gibt es Mangel, gibt es Überschüsse. Dadurch wird die Grundlage für die überregionale Kommunikationsfähigkeit geschaffen. In dieser bundesweiten Konstellation stellten wir uns die Frage nach sinnvollen Preisen. Die Schwierigkeit war, dass selbst wenn es eine Vereinbarung über den Preis gab, dieser schon nach kurzer Zeit doch nicht eingehalten wurde. Dadurch entstand Frust und für mich war dies der Grund mich weiter mit den Fragen: Was heißt Assoziation, was heißt Markt auseinanderzusetzen.

Wenn beispielsweise zwei Individuen bzw. zwei Unternehmen miteinander handeln, läuft das in der Regel so, dass Ware an den Abnehmer geht und der wiederum einen entsprechenden Preis bezahlt. Wie kann in dieser Situation durch den Preis ein Gleichgewicht entstehen, sodass beide Partner gleichmäßig profitieren und ein Vorteil für beide Seiten entsteht? Der Preis muss so sein, dass langfristig die Einkommen oder auch die Vermögen konvergieren. Ein solches Gleichgewicht ist möglich. Das ist für mich eine Art Definition des richtigen Preises. Wenn wir eine Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette erreichen, wo dieses Gleichgewicht gegeben ist, kann zwar weiter rationalisiert werden, aber alle daraus entstehenden finanziellen Vorteile würden in die Gemeinschaft, in die Wertschöpfungskette fließen und nicht als Gewinn oder Kapitalbildung dem Einzelnen allein zu Gute kommen.

Dann hätten wir das soziale Hauptgesetz erfüllt: Die Forderung, dass einer für den anderen arbeitet und nicht für sich selbst, ist ja in der modernen Arbeitsteilung erfüllt. Es ergibt sich aber daraus auch die andere Forderung, dass auch die Teilung des Einkommens erfüllt werden muss. Wie kann das nun geleistet werden?