Erfahrungen aus der Entwicklung einer Assoziation zur Getreidevermarktung

Klaus Wais, Teil 2, Ausschnitt (Teil 1 in Info-Brief 51)

Vom Preisurteil
Einkommen entstehen durch Preise. Daher ist das erste, was eine assoziative Zusammenarbeit leisten muss, ein Preisurteil. Dieses Preisurteil kann man nicht alleine finden. Bei zwei Partnern kann es zunächst untereinander ausgehandelt werden. Langfristig müssen aber auch diese beiden ihren Umkreis einbeziehen und an dieser Stelle kommen wir zum Verbraucher. Auch für ihn muss gelten, dass er nicht reicher oder ärmer wird, wenn er die Produkte konsumiert und bezahlt. Es gibt also die Beziehung zwischen Einzelnen, in der ein Gleichgewicht erreicht werden sollte, aber dieses Gleichgewicht muss die Gesamtheit der Gesellschaft umfassen.

Normalerweise sagt man, dass durch den freien Handel ein solches Gleichgewicht, bei welchem alle Handelspartner profitieren, entsteht. Matthias Binswanger aus St. Gallen hat zu diesem Themenkomplex ein interessantes Buch geschrieben. Er geht darin z.B. auf die Weinherstellung in Portugal und die Tuchproduktion in England und die daraus folgende Entwicklung der beiden Länder ein. Portugal wurde arm, England wurde reich. Am Beispiel Portugal/England wird deutlich, dass es nicht automatisch zu einem Ausgleich kommt, wie der reine Wirtschaftsliberalismus behauptet. Es gibt zwar irgendwann einen Ausgleich, der wird aber von Leiden oder Unterversorgung begleitet. An Stelle der „invisible hand“, die der Freihandel als Regelinstanz in das Marktgeschehen hineinträumt, entsteht an dieser Stelle die eigentliche Aufgabe der Assoziation. Es sollte unter Menschen gestaltet werden, was sonst der Markt regelt. Am Ende wollen wir sagen können, dass wir es so gewollt haben und nicht, dass die Situation, „der Markt“ einfach so entstanden ist und keiner es gewollt hat.

Aus der Verbindung von Erzeugern, Händlern, Verarbeitern und Konsumenten entsteht ein Markt. Über diesen Marktbeziehungen sollte die Assoziation stehen und eine ausgleichende Funktion übernehmen. Das bedeutet im ersten Schritt, dass Menschen da sind, die den am Markt entstehenden Preis betrachten und ein Urteil fällen, ob der Preis zu hoch oder zu niedrig ist. Grundlage für ihr Urteil ist die Kenntnis vom „Nullpunkt“.(Bezieht sich auf die Thermometerfunktion des Preises im NÖK) Dieser „Nullpunkt“ ist genau der Preis, der bewirkt, dass zwischen den Beteiligten gleichmäßige Einkommens- und Kapitalbildung entstehen kann. Das ist die eigentliche Definition des Nullpunktes. Man könnte ihn auch als Zielpreis bezeichnen, der entstehen soll. Es entsteht also zunächst ein Urteil aus der Sachkenntnis aller Marktpartner. Wenn das Urteil nun ergibt, dass der Preis für eine Ware nun z.B. oberhalb des „Nullpunktes“ liegt, dann muss die Assoziation gewährleisten, dass der Gewinn gleichmäßig auf die Wertschöpfungskette verteilt wird. Wie kann das sachgemäß erreicht werden?

Wie werden Assoziationen handlungsfähig? 
Die Frage ist: Wie kommt die Assoziation ins Handeln? Wenn das Preisurteil bedeutet, dass Ware zu teuer ist, dann muss ich dafür sorgen, dass mehr Menschen diese Ware produzieren. Wenn das Urteil ergibt, die Ware ist zu billig, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Erstens, wenn die Gemeinschaft der Überzeugung ist, dass das Produkt vermehrt an die Menschheit gelangen sollte, muss man Werbung machen, um den Umsatz zu steigern. Oder aber, es müssen weniger Menschen in diesem Bereich arbeiten. Ich muss nicht von Angebot und Nachfrage sprechen. Das sind zwar die zunächst wirkenden Aspekte, aber ich muss schauen, was hinter der Nachfrage und dem Angebot steht. Was steht also hinter dem Angebot? Die Menge an Menschen, die in diesem Bereich arbeiten.

Der Konsument kann heute da und morgen dort kaufen. Der Landwirt ist nicht so flexibel, sondern eher festgelegt in seinen Möglichkeiten. Wenn Lebensmittel knapp sind und die Nachfrage steigt, dann steigen auch die Preise und es entsteht Kapitalbildung auf der Seite der Erzeuger. Wenn das Angebot zu groß ist, sinken die Preise und es ergibt sich eine zu hohe Kapitalbildung auf der Konsumentenseite. An dieser Stelle muss die Assoziation eingreifen, damit die Kapitalbildung allen zugutekommt. Das ist nur möglich, wenn die Assoziation überhaupt Einfluss auf die Produktionsmengen ausüben kann (!)und z.B. den Anbau begrenzen oder eben auch ausdehnen kann. Die Assoziationen werden nur handlungsfähig, wenn sie die Angebotsseite regulieren können. Assoziation bedeutet: gemeinschaftlich verantwortete Kartellbildung, nicht zum Vorteil einzelner Gruppen, sondern zum Ausgleich der immer wieder durch unterschiedliche Produktivitätsentwicklung entstehenden Einkommensunterschiede. Es begegnet sich hierbei größtmöglicher Freihandel mit wirklichem Gemeinsinn.

Dies scheint mir der Kern von Rudolf Steiners sozialen Impulsen. Ich konnte diese Zusammenhänge bei meiner Arbeit in der Getreidevermarktung erleben, es sind also nicht abstrakte Denkmodelle, sondern sie können täglich an der Wirklichkeit des Wirtschaftslebens erfahren werden. (Es gibt auch bereits verschiedene Modelle, die auf dieser Basis arbeiten: BDM Milchmarkt- Model, Milchmarkt in Kanada)

Es geht darum, bis in die Gesellschaft hinein ein gemeinschaftliches Urteil, ein Preisurteil zu bilden. Ohne diese Grundlage gäbe es keine Fair-Trade Produkte! Es ist nur eben leichter zu erkennen, dass indische Baumwollbauern zu wenig verdienen bei den niedrigen Rohstoffpreisen. Innerhalb unserer Industriegesellschaft ist das wesentlich anspruchsvoller. Daher entsteht jetzt die radikalste Form des unmittelbaren Einkommensurteils und des Einkommensausgleichs in Form der solidarischen Landwirtschaft.