Milch, Schweine und die Marktwirtschaft

Heiner Flassbeck am 27.05.2016, Wirtschaftswissenschaftler, von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf; Artikel bei www.makroskop.eu,; Ausschnitte

Sinkende Preise bringen die Bauern in Bedrängnis. Doch nicht sie, sondern Politik und Ökonomen müssen umdenken. Der Preis für einen Liter Milch fällt von 40 auf 20 Cent. Auch der Preis für Schweinefleisch fällt dramatisch und folgt offenbar dem Gesetz, das man einst den Schweinezyklus nannte. Niemand stellt die grundsätzliche Frage, um die es geht. Die Frage nämlich, ob man im Bereich der Landwirtschaft überhaupt mit marktwirtschaftlichen Regeln arbeiten kann. Die Antwort ist einfach: Nein!
Die Preise für Milch und Schweine – wie die der meisten agrarischen Produkte – verhalten sich wie Rohstoffe und schwanken in der Tat stark. Das liegt daran, dass in diesen Märkten die sogenannte Preiselastizität der Nachfrage gering ist. Die Produkte sind homogen und die Verbraucher verbrauchen immer ähnlich viel Milch, ganz gleich, ob der Preis zwanzig oder vierzig Cent pro Liter beträgt.

Die geringe Elastizität der Nachfrage führt bei vielen Nahrungsmitteln dazu, dass schon kleine Schwankungen des Angebots große Auswirkungen auf den Preis haben können. Genau umgekehrt ist das in einem Markt, wo die Nachfrage extrem elastisch ist: Da wird jedes angebotene Produkt verkauft, wenn es weniger kostet. Aus der geringen Nachfrageelastizität entsteht der Schweinezyklus. Die Bauern produzieren viele Schweine, wenn es gerade günstig erscheint, weil nämlich der Preis hoch ist. Sie investieren also in Stallanlagen, um noch mehr Schweine zu produzieren. Dann aber kommt der Punkt, wo das große Angebot an Schweinen auf einen Markt drückt, der nicht viel mehr Schweinefleisch aufnehmen kann, weil die Verbraucher einfach nicht mehr Schwein essen, weil viel billiges Schweinefleisch da ist. Dann sinkt der Preis dramatisch schnell, weil das Produkt nicht lagerbar ist, und die Bauern sitzen in ihren übergroßen Ställen und können die Schweine nicht mehr loswerden. Die Folgen sind bankrotte Betriebe und der Beginn eines neuen verrückten Zyklus. Denn nun werden systematisch zu wenige Schweine produziert, so dass der Preis wieder übermäßig steigt und der Schweinezyklus beginnt von vorne.

Milch bleibt letztlich Milch
Die Landwirtschaft kann in der Regel nur wenig differenzieren. Sie versucht es zwar über „Bio“ als Qualitätssiegel oder über Direktvermarktung von Milchprodukten. Doch Milch bleibt letztlich Milch und ist für die Masse der Kunden weder klar unterscheidbar noch lagerbar. Bei all dem muss die Landwirtschaft immer kapitalintensiver werden, was große Investitionen verlangt, das Endprodukt aber praktisch nicht verändert.

Das eigentliche Problem liegt folglich in der Frage, wer in einem Markt mit solchen Grundbedingungen viel Geld investiert und neben der eigentlichen Produktion auch noch Nahrungsmittelverordnungen, Umwelt- und Tierschutzauflagen und anderen landwirtschaftlichen Verordnungen Genüge tun muss. Die Antwort ist auch hier einfach: Kein vernünftiger Mensch. Jedenfalls keiner, für den die Landwirtschaft wirklich den Lebensunterhalt garantieren soll und nicht nur ein Nebenprodukt oder ein Hobby ist. Folglich bekommt die Gesellschaft all das, was sie sich von ihrer Landwirtschaft erhofft, genau dann nicht, wenn sie die Marktwirtschaft walten und schalten lässt. Dann bekommt sie vielleicht riesige Agrarfabriken, die auch solche Preisschwankungen durchhalten, weil sie tausend verschiedene Produkte produzieren, aber man bekommt keine bäuerliche Landwirtschaft, die auch noch Landschaftspflege betreibt.

Das Umdenken, das man so gern den Bauern abverlangt, muss man deswegen der Politik und den Ökonomen abverlangen. Wer eine vernünftig strukturierte Agrarproduktion mit einer artgerechten Tierhaltung, hoher Produktqualität und einer gesunden Umwelt will, muss die Marktwirtschaft in diesem Bereich endgültig zu den Akten legen. Entweder man kehrt zu den alten Agrarmarktordnungen mit Milchseen und Butterbergen zurück, was weit weniger schlimm ist als Bauern, die an Bäumen hängen, oder man setzt auf eine weitgehende staatliche Ordnung, bei der die Bauern für die Landschaftspflege entschädigt werden und versprechen müssen, mit der Natur schonend umzugehen. Mindestpreise sind jedoch das Mindeste, was die Landwirte von der Gesellschaft verlangen können, weil auch sonst niemand in einer Marktwirtschaft investiert, wenn er bei der Preisentwicklung seines Endprodukts Überraschungen nicht ausschließen kann, die innerhalb von Monaten seine wirtschaftliche Existenz vernichten können.

Preis der Stadt Nürnberg für unser Mitglied Bernd Hausmann
Wir freuen uns mit Bernd Hausmann, Glore-Handels-GmbH, über den „Preis für diskriminierungsfreie Unternehmenskultur“ der Stadt Nürnberg. Das Unternehmen verkauft ausschließlich Bio-Bekleidung aus fairem Handel, und Bernd Hausmann kennt alle Lieferanten persönlich. Glore steht für globally responsible fashion (Mode mit weltweiter Verantwortung). Verkauf in Nürnberg (Karl-Grillenberger-Straße 24), Hamburg, Stuttgart, Augsburg und Luzern (Schweiz) sowie über Online-Shop www.glore.de, Tel. 49 (0) 911 – 27 74 53 77