Preisfindungsstellen – eine Alternative zur Marktpreisbildung , Teil 1

Gibt es eine Alternative zur Preisbildung durch Angebot und Nachfrage mit den oft schmerzhaften Nebenwirkungen für den kleinen Erzeuger (Beispiel Milchbauern!)? Otto Jachmann stellt in seinem Buch „Beobachtungen und Gedanken zu Wirtschaft und Gesellschaft“, Borchen 2008, ISBN 978-3-89979-103-7, € 13,-, selbst ausprobierte Alternativen vor: Preisfindungsstellen für Kernobst und Ferkel. Im Folgenden und in weiteren Info-Briefen stellen wir Auszüge daraus vor.
Die Preise stehen im Mittelpunkt des Wirtschaftsgeschehens, sie sind sein Dreh- und Angelpunkt (siehe S. 41 f. und 54 f.). Jede Veränderung der Wirtschaft, jede Störung des Wirtschaftsgleichgewichts schlägt sich früher oder später, meist rasch, in den Preisen nieder. Preise sind wie empfindliche Messinstrumente, wie Seismometer, die Wirtschaftstendenzen anzeigen, oft bevor sie auf andere Weise erkennbar sind. Das gilt auch umgekehrt. Wenn man Preise reguliert, von außen festsetzt, wie es Jahrzehnte lang in der EU-Agrarmarktpolitik geschah, zeigen sich unerwünschte „Nebenwirkungen“ oft an ganz anderer, unerwarteter Stelle. Die Fäden zwischen Wirtschaftsgeschehen und Preisentwicklung lassen sich nicht kappen. Sie sind der Lebensnerv der Wirtschaft.
Soll man also der Preisentwicklung freien Lauf lassen? Soll man sich z.B. als Erzeuger den Preiszyklen, die in ihren Ausschlägen schmerzhaft sein können, einfach unterwerfen? Gibt es nicht Mittel und Wege, den Vorgang der Preisbildung seinen eigenen Gesetzen gemäß zu befördern und zu gestalten? Dem Verfasser wurde die Schicksalsgunst zuteil, in seinem beruflichen Verantwortungsbereich zwei landwirtschaftliche Preisfindungsstellen vorzufinden und jahrelang betreiben zu helfen, die eben dies versuchen.
Sie gehen auf Forschungen und Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Institut für Landwirtschaftliche Marktlehre der Universität Hohenheim zurück. Ihr Grundgedanke ist, die Preisbildung nicht allein den Umwegen, Unwägbarkeiten und Wechselfällen des Marktgeschehens zu überlassen, sondern in einem kleinen, repräsentativen Kreis von Marktbeteiligten sozusagen „in nux“ zu vollziehen und damit die Preisentwicklung zu glätten und vor extremen, durch die Marktlage nicht gerechtfertigten Ausschlägen, zu bewahren.
Dies geschieht in wöchentlich zusammentretenden Preisfindungs- oder Notierungskommissionen, in welche die jeweiligen Marktpartner Vertreter entsenden. In einem Preisfindungsgespräch werden die aktuelle Marktlage erörtert, die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Partner geltend gemacht und daraus gemeinschaftlich Preise abgeleitet, welche der augenblicklichen Marktlage und der unmittelbar absehbaren, kurzfristigen Marktentwicklung entsprechen. Dies geschieht unter neutraler Leitung, die über ein ausgewogenes Ergebnis wacht und einseitige Einflussnahmen verhindert.
Die Erfahrung zeigt, dass ein Eingreifen umso weniger nötig ist, je länger die Kommissionen zusammenarbeiten. Jeder Interessenvertreter bringt zwar seine einseitige Sicht des Marktgeschehens ein und versucht sie durchzusetzen, wird aber von den Vertretern anderer Interessen in Schranken gehalten. Bald stellt sich unter allen Beteiligten ein gewisses Verständnis für die Interessenlage der Anderen ein, so dass rasch der Punkt gefunden werden kann, an dem sich die Interessen die Waage halten: ein den Marktkräften entsprechender Preis ist gefunden. (In folgenden Info-Briefen wird die Arbeit der beiden Preisfindungsstellen beschrieben. Die Redaktion.)