Sie haben im Ernst geglaubt, das Thema Gentechnik sei schon durch?

Sie haben im Ernst geglaubt, das Thema Gentechnik sei schon durch?
von Wolfgang Hassenstein, GREENPEACE MAGAZIN 5.15, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von andrea.wohlers@greenpeace-magazin.de, Auszüge

Leider falsch! Zwar wachsen auch 20 Jahre nach Beginn des kommerziellen Anbaus kaum genmanipulierte Pflanzen auf europäischen Feldern. Doch nun sollen neue Methoden chirurgische Eingriffe ins Erbgut erlauben und den Anbau auch in Deutschland möglich machen – ohne Sicherheitsprüfung und Kennzeichnungspflicht. Es droht der Einzug von „Genfood“ durch die Hintertür. Zugleich setzen sich in der konventionellen Pflanzenzucht biotechnologische Verfahren durch, die auch Umweltschützer begrüßen. Und einige Öko- Pioniere, die Gemüse für Biobauern züchten, besinnen sich auf alte Tugenden. Wir erklären die Unterschiede in vier Kapiteln: Die alte Schule – Gentransfer mit Geschützen, Neue Züchtungstechniken – Ist das noch Gentechnik oder schon Super-Gentechnik?, Schlaues Züchten – Der Hightech-Blick ins Erbgut, Ökologische Pflanzenzüchtung – Freiheit fürs Gemüse
Neue Züchtungstechniken
Ist das noch Gentechnik oder schon Super-Gentechnik? Immer häufiger ist nun von „neuen Züchtungstechniken“ die Rede. Raffinierte Verfahren mit komplizierten Namen eröffnen den Bio-Ingenieuren ganz neue Möglichkeiten. Mit ihrer Hilfe können sie einzelne Genabschnitte synthetisch nachbauen oder gar die Pflanzen-DNS auf molekularer Ebene „umschreiben“ wie ein Computerprogramm. Man spricht von „Genome Editing“ oder „synthetischer Gentechnik“.
Es sind ganz unterschiedliche Eingriffe, die so zusammengefasst werden. Die Cisgentechnik etwa ähnelt der klassischen Gentechnik – nur dass DNS-Abschnitte innerhalb einer Art übertragen werden, etwa von einer Apfelsorte auf die andere. Revolutionärer ist eine Methode namens CRISPR-Cas: Sie soll es zum Beispiel ermöglichen, künstlich erzeugte DNA-Schnipsel ganz gezielt ins Erbgut einzubauen. Wieder andere Techniken verändern nicht die DNS selbst, sondern beeinflussen die Genregulierung, also die Aktivität bestimmter Gene.
Gemeinsam ist den neuen Methoden, dass keine artfremden Gene übertragen werden. Es erübrigt sich also die von vielen Menschen als unethisch oder unheimlich empfundene Praxis, Erbmaterial ganz unterschiedlicher Organismen zu vermischen. Nun hoffen die Saatgutfirmen, dass zumindest einige der so entwickelten Pflanzen nicht den strengen EU-Gentechnikregeln unterworfen werden. Das würde ihnen teure Sicherheitsprüfungen ersparen und die Zulassung erheblich erleichtern. Es könnte aber den Einzug der Gentechnik durch die Hintertür bedeuten.
Streit gibt es derzeit um die sogenannte Oligonukleotid-Technik. Mit ihrer Hilfe hat die kalifornische Firma Cibus eine herbizid-resistente Rapssorte entwickelt, die sie gerne auf den europäischen Markt bringen würde. Im Februar hatte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) entschieden, der Raps sei „nicht als Gentechnik im Sinne des Gentechnikgesetzes“ einzustufen. Demnach dürfte auf deutschen Äckern erstmals Designer- Saatgut ausgebracht werden – ohne dass man dies dem möglicherweise einmal daraus gewonnenen Rapsöl ansehen könnte. Umwelt- und Bioverbände laufen gegen die Entscheidung Sturm. Die Oligonukleotid-Technik sei „eindeutig Gentechnik“, der Anbau müsse verboten werden.
Wie kommt es zu den gegensätzlichen Urteilen? Bei der Methode schleusen die Biotechniker sehr kurze DNS-Abschnitte (Oligonukleotide) in die Zellen ein. Sie wurden im Labor natürlichen Gensequenzen nachempfunden, aber durch eine gewünschte Eigenschaft ergänzt. Die synthetischen DNS-Schnipsel werden aber laut ihren Entwicklern nicht ins Erbgut eingebaut. Sie sollen an vorgegebenen Stellen Punktmutationen auslösen, also zum Beispiel den Austausch einzelner Gen-Buchstaben bewirken – und anschließend von der Zelle abgebaut werden. Kompliziert wird es, weil sich so erzeugte Veränderungen nachträglich nicht von natürlich entstandenen Mutationen unterscheiden lassen.
Das BVL argumentiert, die Methode sei „risikoarm, weil sie zielgerichtet ist“. In der konventionellen Pflanzenzucht wird die Mutationsrate teils durch Bestrahlung oder Chemikalien erhöht – das sei viel rabiater. Die Gegner aber weisen darauf hin, dass laut EU-Richtlinie alle Verfahren als Gentechnik einzustufen sind, „bei denen in einen Organismus direkt Erbgut eingefügt wird, das außerhalb des Organismus zubereitet wurde“. Christoph Then erklärt, man „zwinge“ der Zelle Veränderungen durch ein Verfahren auf, das in der Natur gar nicht vorkomme. Was dabei im Erbgut geschehe, sei nicht ausreichend verstanden. „Der Cibus-Raps droht zum Türöffner für eine Reihe neuer Produkte zu werden, die mithilfe von Genome Editing hergestellt werden“, fürchtet er. Auch größere Teile des Erbgutes könnten künftig „radikal umgebaut“ und die genetischen Veränderungen in der Umwelt verbreitet werden, ohne dass der Gesetzgeber dies noch kontrollieren könne.
Ende Juni schaltete sich die Europäische Kommission ein. Sie empfahl den Behörden in den Mitgliedsländern, die Freisetzung des Rapses vorerst nicht zu genehmigen. Bis Ende des Jahres will sie untersuchen lassen, ob und welche der neuen Züchtungstechniken unter die Gentechnikregulierung fallen.
Was den Cibus-Raps auszeichnet, ist, wie gesagt, wieder einmal eine Herbizid-Resistenz. Problematisch ist auch, dass sich das Erbgut von Raps, der in Europa wilde Verwandte hat, durch Pollenflug ausbreiten kann. Es wäre also eine Sorte, deren Zulassung Deutschland aus umweltpolitischen Gründen ablehnen könnte – sofern sie als gentechnisch verändert eingestuft wird.