Interview: „Man muss sich auf das verlassen, was die Industrie vorsetzt“

Infodienst Gentechnik, Newsletter vom 7.1.2015, www.keine-gentechnik.de

Daten zu Gentechnik-Risiken stammen meist aus den Laboren der Industrie
Mit einer Petition wollten mehrere NGOs erreichen, dass sich der Bundestag mit möglichen Interessenkonflikten bei deutschen Behörden beschäftigt, die unter anderem Risiken von Gentechnik-Pflanzen und Pestiziden bewerten. Der Petitionsausschuss des Parlaments sah dazu aber keinen Anlass – und lehnte das Anliegen ab. Im Interview erklärt einer der Initiatoren, Christoph Then vom Verein Testbiotech, wie eine unabhängige Risikobewertung organisiert und finanziert werden könnte.
Infodienst (ID): Sie kritisieren deutsche und europäische Behörden immer wieder als zu industrienah, wenn es um die Bewertung von Gentechnik-Risiken geht. Per Petition wollten Sie und Ihre Partner das Thema vor den Bundestag bringen, das wurde nun aber abgelehnt. Was genau wollten Sie erreichen?
Christoph Then (CT): Wir wollten erstens erreichen, dass überprüft wird, ob die Behörden so unabhängig sind wie sie sein sollten. Und zweitens, dass die Risikoforschung anders organisiert wird. Wir sind der Ansicht, dass wesentlich mehr Mittel erforderlich wären für eine industrie-unabhängige Risikoforschung. Die Industrie sollte sich daran beteiligen, indem sie zum Beispiel in einen Fonds einzahlt. An der Entscheidung, wie diese Mittel dann vergeben werden, sollte auch die Zivilgesellschaft beteiligt werden. Und auch daran, welche Risiken untersucht werden.
ID: Gibt es für solche Verfahren, das Geld anders zu verteilen, konkrete Vorbilder?
CT: Es gibt Modelle, bei denen die Industrie an den Kosten beteiligt wird, zum Beispiel bei der Atom- oder Pestizidindustrie. Das gibt es bei der Biotechnologie bislang nicht, soweit ich weiß. Auch partizipative Verfahren zur Verteilung von Forschungsgeldern sind nicht üblich. Bei der Energiewende sind die Umweltverbände ja recht eng eingebunden, aber in den Bereichen Technologie, Innovationsförderung oder in der Umsetzung von Forschungsprogrammen spielt die Zivilgesellschaft derzeit keine Rolle.
ID: Was wäre denn eine realistische Summe, die man für eine unabhängige Risikoforschung zur Gentechnik jährlich bräuchte?
CT: Da darf man nicht zu knapp denken. Es muss ein Impuls gesetzt werden, der alle Lehrstühle erreicht, die sich mit Agro-Gentechnik und Umwelt beschäftigen. Und das Budget muss so groß sein, dass ein echter Anreiz und Wettbewerb um diese Mittel entsteht. Außerdem muss es eine Kontinuität über mehrere Jahre geben, so dass ein Wissenschaftler, der sich bewirbt und vielleicht etwas Kritisches findet, weiß, dass er sich im nächsten Jahr wieder bewerben kann, dass er nicht bestraft und nicht ausgeschlossen wird aus der scientific community, wie es jetzt der Fall ist. Und wenn man so ein Forschungsprogramm über beispielsweise zehn Jahre auflegen würde, dann geht es sicherlich um dreistellige Millionenbeträge.
ID: Würde mehr unabhängige Risikoforschung, wie Sie sie fordern, nicht auch weitere Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen beinhalten?
CT: Da gibt es eine ganze Reihe von heiklen Punkten: braucht man Freisetzungsversuche eigentlich? Werden möglicherweise mehr Tierversuche durchgeführt? Das ist ja ethisch auch umstritten. Wenn es so ein Programm geben würde, könnten wir das nicht in allen Details vorhersehen. Es könnte sein, dass es Vorschläge gibt, Freisetzungsversuche zu machen. Aber wir fordern ja, dass die Gesellschaft an der Entscheidung beteiligt wird und es so ein Korrektiv geben würde. Es gibt bestimmt Fragestellungen, bei denen man über Freisetzungen diskutieren muss. Aber es ist kein Problem, Forschungsprojekte und -ziele zu benennen, die mit Freisetzung nichts zu tun haben, zum Beispiel zur Frage, wie das eingebaute Genkonstrukt mit dem Genom der Pflanze interagiert und wie es auf Umweltreize reagiert. Oder dazu, welche Schäden bei Nichtzielorganismen wie Insekten auftreten können. Das könnte man auch ohne Freisetzungen gründlich untersuchen – und in vielen Fällen auch ohne Versuche mit Säugetieren. Da gibt es ein großes Forschungsfeld, das aber wenig bearbeitet worden ist und oft als nicht relevant betrachtet wurde, obwohl zum Beispiel Umweltwechselwirkungen und ungewollte Effekte in der Gentechnik-Pflanze für die Risikobewertung sehr wichtig sind. Da gibt es auch neue Forschungsmethoden wie die Metabolom-Forschung, wo man sehr viel genauer als noch vor ein paar Jahren messen kann, was beim Zellstoffwechsel passiert.