Auszug aus: Wolfgang Ritter „Wirtschaft der Liebe – Elemente einer künftigen Wirtschafts-ordnung“, Verlag Ch. Möllmann, 2015, 15 €, Teil 1 (Teil 2 folgt im nächsten Info-Brief)
Eine der zentralen Überlegungen, die von Käufern und Verkäufern angestellt werden, ist der Preis, denn er hat unmittelbaren Einfluss auf die Lebenslage des Wirtschaftspartners: Kaufe ich zu billig oder verkaufe ich zu teuer, werde ich zum Ausbeuter. Es kommt also darauf an, den „richtigen Preis“ zu finden – eine Gleichgewichtslage zwischen zu billig und zu teuer. Der Preis muss so hoch sein, dass ein Gut oder eine Dienstleistung unter anständigen Bedingungen erzeugt und bereitgestellt werden kann. Er muss aber auch so niedrig sein, dass er bezahlt werden kann von denen, die das Gut/ die Dienstleistung brauchen. Der „richtige Preis“ ist also ein Gleichgewichtspreis. Hat z.B. ein Spargel-Erzeuger und -händler den „richtigen Preis“ angesetzt, dann ist seine Tagesernte am Ende des Markttages verkauft. Bei zu hohem Preis, nähme er etwas mit nach Hause zurück, weil sich nicht alle Leute den Spargel leisten konnten, die welchen kaufen wollten; bei zu niedrigem Preis ist er nach kurzer Zeit ausverkauft, kommt möglicherweise nicht auf seine Kosten, und es werden auch nur die Frühaufsteher mit Spargel versorgt. Der „richtige Preis“ ist also auch der „gerechte Preis“. (vgl. auch Christoph Strawe: Solidarisches Wirtschaften, S. 116)
In dem geschilderten Fall ist die Preisfindung relativ einfach: Der Erzeuger steht in einem direkten Verhältnis zum Käufer. Er setzt aus Erfahrung den richtigen Preis an. Anders sieht die Sache aus, wenn der Warenverkaufspreis auf mehrere Unternehmen verteilt werden muss, die an der Wertschöpfung beteiligt sind. Für Milch z.B. wären das der Landwirt, die Molkerei, der Groß- und Einzelhandel. Wir erleben heute eine Machtstellung von Einzelhandelsketten (Discountern), die den Molkereien den Preis diktieren, die wiederum ihrerseits den Milchbauern den Preis vorschreiben. Das Preisdiktat des Einzelhandels beruht auf der Konkurrenzsituation, in der jeder Einzelhändler steht: Jede Kette will ihren Kunden den günstigsten Preis bieten, weil man glaubt, einziges Kaufmotiv der Kunden sei der Preis. Der Preiskampf führt in zunehmendem Maße dazu, dass immer mehr kleinere Erzeuger und Händler dem Preisdiktat nicht mehr standhalten können und aufgeben. Eine gewisse Konzentration in manchen Branchen mag sowohl für Erzeuger als auch Verbraucher vorteilhaft sein; für die Lebensmittelbranche ist sie katastrophal! Wenn immer mehr Bauern ihre Höfe verlassen, industriell geführte Agrargroßbetriebe ihre Felder übernehmen, geht ein Teil der Landschaftspflege, der regionalen Wertschöpfung und Versorgung, der Biodiversität verloren, die Transportwege werden weiter, die Wirtschaftspartner anonymer und gleichgültiger, der Preiskampf ruinöser.
Wie kann man nun im herrschenden marktwirtschaftlichen System doch zu einem Interessenausgleich von Erzeugern, Händlern und Verbrauchern kommen? Sie müssen an einen Tisch und sich kennenlernen! Nun ist es natürlich völlig unmöglich z.B. alle Milchbauern einer Region mit allen Molkereien, Handelsketten und Verbrauchern zusammenzubringen. Man wird deshalb Organe zu schaffen haben, in die von allen am Wirtschaftsprozess Beteiligten Vertreter entsendet werden, z.B. Milchbauern, Molkereimitarbeiter, Einzelhändler, Verbraucher. Solche Organe nannte Rudolf Steiner Assoziationen. Die Assoziationen sollen Wahrnehmungsorgane sein. Die Vertreter der Konsumenten erfahren in ihnen die Arbeitsbedingungen, Nöte und Erfolge der Unternehmen, die Unternehmen die Wünsche und Möglichkeiten der Konsumenten. Aus dieser Wahrnehmung, aus assoziativen Gesprächen können sich Produktionsmengen, Qualitätsstandards und Verkaufspreise ergeben. Den Marktprinzipien würde dadurch die so wichtige Komponente der Verlässlichkeit hinzugefügt.
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