Preisfindungsstellen – eine Alternative zur Marktpreisbildung, Teil 4

Auszüge aus Otto Jachmann: Beobachtungen und Gedanken zu Wirtschaft und Gesellschaft, Borchen 2008; die Teile 1, 2 und 3 erschienen in den letzten drei Info-Briefen

Wirtschaftssteuerung durch Selbstverwaltung 
Die beiden beschriebenen, seit Jahren erfolgreich arbeitenden Preisfindungsstellen (für Kernobst und Ferkel, die Red.) geben einen Hinweis darauf, auf welche Weise künftig die gesamte Preisbildung bewusster gestaltet werden kann, ohne die ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten zu verletzen. Die Art, wie sie sich bisher vollzog, kann man als ,Seelenprozess des Gemeinschaftsorganismus Wirtschaft‘ betrachten. Es handelt sich um ein Geschehen, das die an der Wirtschaft beteiligten Menschen mit ihren Einzelentscheidungen bewirken, ohne sich der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen bewusst zu sein. Als Individuen entscheiden wir uns zwar klaren Sinnes für den Kauf dieses oder jenes Wirtschaftsgutes. Was daraus gesamtwirtschaftlich folgt, wird uns in der Regel kaum bewusst. Als Einzelmenschen sind wir hellwach, als Glieder des Wirtschaftsorganismus aber träumen wir. Das wird so nicht bleiben können. So wie wir Menschen heute aufgerufen sind, unser Denken, Fühlen und Wollen immer mehr mit Bewusstsein zu durchdringen, muss das in Zukunft auch beim Wirtschaftsorganismus geschehen. Dessen Prozesse müssen sozusagen von der seelischen auf die geistige Ebene gehoben werden. Es gilt, sie immer bewusster zu ergreifen und zu gestalten. Das kann ein Einzelner nicht leisten. Der Wirtschaftsorganismus übersteigt den Einzelmenschen. Was in der Wirtschaft mit bürokratischen Entscheidungen vom ,grünen Tisch‘ aus angerichtet wird, kann man an den Folgen der zentral geplanten Wirtschaft in den ehemals kommunistisch regierten Ländern studieren.

Ganz anders verhält es sich mit Einrichtungen, in denen Vertreter aller am Wirtschaftsgeschehen beteiligten Interessengruppen gemeinschaftlich Maßnahmen beraten und beschließen, so wie es in den Preisfindungsstellen geschieht. Was einer alleine nicht kann, vermag die Gemeinschaft. Mit solchen Gemeinschaftsgremien werden Wahrnehmungsorgane des Wirtschaftsorganismus gebildet, durch die im Zusammenwirken ein übergeordnetes Bewusstsein des Wirtschaftsgeschehens entsteht, das eine sachgerechte Steuerung gestattet. Dafür ist allerdings ein Paradigmenwechsel nötig, so wie er sich aus diesen Beobachtungen und Gedanken zum Wirtschaftsleben ergibt. Wettbewerb und einseitiges Gewinnstreben als oberste Prinzipien müssen abgelöst werden durch Zusammenarbeit zum gemeinsamen Vorteil aller Beteiligten, so wie es dem Wesen der Wirtschaft entspricht. Die heutigen wirtschaftlich-sozialen Gegebenheiten und ihre absehbare Entwicklung erfordern das. Es wird in der Zukunft nötig sein, Wirtschaft und Staat sachgerechter gegeneinander abzugrenzen und Zuständigkeiten neu zu ordnen. Wirtschaftliche Interessen dürfen nicht die gesamte Gesellschaft überwuchern, so wie es heute geschieht. Ihnen müssen Grenzen gesetzt werden. Innerhalb dieser Grenzen aber sollte die Wirtschaft in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Belange selbst zu verwalten. Sie ist dazu besser imstande als alle außerwirtschaftlichen Instanzen. Dafür braucht sie sachkundige und in eigener Verantwortung handelnde Selbstverwaltungsorgane nach Art der beschriebenen Gemeinschaftseinrichtungen.

Im Bereich der Geldwirtschaft gibt es Ansätze dafür in den Zentralbanken und Zentralbankräten, die weiterentwickelt werden können. Auch für die anderen Wirtschaftsbereiche, die Verbrauchs- und die Produktionsgüterwirtschaft und deren einzelne Zweige, sollten Selbstverwaltungseinrichtungen geschaffen werden, in die alle Interessengruppen, Erzeuger, Händler und Verbraucher einbezogen sind. Auf ähnliche Weise wie die Preisfindungsstellen können diese befördernd, glättend und vorausschauend auf die entsprechenden Kreisläufe einwirken und unvermeidliche Störungen möglichst schon im Prozess der Entstehung abfangen. Sie werden dabei besonders auf die Entwicklung der Preise als Wirtschaftsindikatoren achten, deren Gründen nachgehen und nötigenfalls Maßnahmen einleiten, um Verzerrungen entgegenzuwirken. Außerdem können sich aus der Zusammenarbeit in diesen Gremien Hinweise ergeben, die es den Herstellern gestatten, die Erzeugung besser an den Bedarf anzupassen, preisgünstiger zu arbeiten und den Markt gleichmäßiger zu versorgen. Solche Einrichtungen können je nach Bedarf für die einzelnen Wirtschaftszweige geschaffen werden, örtlich, regional, für einen großen Wirtschaftsraum und schließlich auch weltweit.

Es ist nicht hilfreich, künftigen Entwicklungen gedanklich in Einzelheiten vorzugreifen. Diese sollen nicht ausgeklügelt werden, sondern sich zur gegebenen Zeit aus den dann obwaltenden Verhältnissen und Notwendigkeiten heraus ausgestalten. Deshalb wird auf eine nähere Ausführung verzichtet.