Hallo Herr Ritter,
ich bin seit Jahren Mitglied in Ihrem Verein. Nun bin ich durch Lesen von einem Artikel der Albert Schweizer Stiftung auf http://www.biowahrheit.de aufmerksam geworden. Alleine das Video am Anfang fand ich so schockierend, dass ich es nicht zu Ende gesehen habe. Aber selbst Verbände, von denen ich dachte, diese würden nochmal ganz andere und wesentliche strengere Vorgaben machen, also Bioland und Demeter, haben offenbar ziemlich lasche Vorgaben. Weitreichende Forderungen sind da laut der Seite nur Soll- aber keine Muss-Vorschriften: http://www.biowahrheit.de/inhalt/verbaende.htm. Ja, ich lese dort sogar, dass eine wirtschaftlich sich rechnende „Produktion“ von Bio-Fleisch eben auch nur mit diesen laschen Vorgaben möglich ist. Für mich sieht es so aus, dass es da eine ziemlich hässliche Wahrheit gibt, wie zumindest zahlreiche Bio-Betriebe Tierhaltung handhaben. Wie stehen Sie dazu?
Martin Steigerwald
Lieber Herr Steigerwald,
vielen Dank für Ihre Zuschrift. Überall da, wo Massentierhaltung betrieben wird, kommt es auch zu sehr großen Verletzungen des Tierwohls und immer zum grausamen Tod der Tiere – auch bei Bio. Bei der Massentierhaltung in Bio-Betrieben haben die Tiere etwas mehr Platz, aber die Beispiele bei biowahrheit.de zeigen: artgerechte Tierhaltung ist für manche Bio-Großmäster ein Fremdwort. Massentierhaltung ist ein Skandal! Dieser Skandal wurde durch die Politik ausgelöst, denn 2006 fiel die Bindung der Tierhaltung an die zur Verfügung stehende Grundfläche. Eine Großmästerei nach der anderen wird seitdem gebaut. Wir begrüßen sehr, dass Bio-Großmästern die Bio-Zertifizierung entzogen wurde, so wie biowahrheit.de berichtet, denn sie konterkarieren das redliche Bemühen vieler kleinerer Bio-Betriebe, schaden damit dem Ansehen der Bio-Branche und zerstören möglicherweise das Vertrauen der Verbraucher. Der Bio-Verbraucher e.V. hat sich schon oft gegen tierquälerische Massentierhaltung und die Genehmigung weiterer Großmästereien ausgesprochen, aber die Politiker sind bisher taub. Wir arbeiten auch mit keinem einzigen Bio-Großmastbetrieb zusammen. Solange die Politik Massentierhaltung nicht verbietet, hilft nur eins: sehr viel weniger oder Bio-Fleisch essen.
Im letzten Jahrhundert verdrängten die Supermarktketten die kleinen Einzelhandelsgeschäfte; in diesem Jahrhundert geben immer mehr Kleinbauern unter dem Druck der Agrarindustrie auf. Der Bio-Verbraucher e.V. setzt sich gegenüber den Politikern dafür ein, dass wenigstens ein Rest von kleinbäuerlicher Landwirtschaft in Deutschland erhalten bleibt – wenigstens im Bio-Bereich. Indem wir uns für kleinbäuerliche Bio-Betriebe interessieren, sie besuchen, ihre Adressen und Angebote auf unseren Internetseiten darstellen, über sie berichten, ihre Erzeugnisse kaufen, hoffen wir, dass es uns gelingt. Viele unserer Mitgliedsfirmen halten nicht mehr als etwa 70 Milchkühe oder Mastrinder, einige Hundert Schweine, maximal 3000 Legehennen oder Mastgeflügel pro Stall. Um wirtschaftlich arbeiten und den Bedarf decken zu können, errichten Geflügelzüchter oft mehrere Hühnergehege auf ihren Grundstücken. Rinder-Anbinde-Haltung ist passé, alle Tiere können sich frei bewegen, viele haben Weidegang.
Der Verbraucher sollte aber auch wissen, dass es heute im gnadenlosen Wettbewerb nur noch wenige „Idyllhöfe“ (biowahrheit.de) gibt, die von allem etwas bieten können. Auch der Bio-Landwirt/ Bio-Tierzüchter muss sich spezialisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Entweder hält er Milchkühe oder Mastrinder, Legehennen oder Mastgeflügel. Dafür gibt es jeweils Fleisch ansetzende Rassen oder Milch bzw. Eier produzierende Rassen. Die Bruderkälber und Bruderhähne bei Milchvieh und Legehennen werden – auch auf Biohöfen – nicht groß gezogen.
Wer auf Fleisch, Milch- und Milchprodukte nicht verzichten will und wen das Leid der Tiere berührt, der ist gut beraten, die Betriebe zu kennen, von denen er tierische Produkte bezieht. Der Bio-Verbraucher e.V. veranstaltet regelmäßig Bio-Ausflüge zu Mitgliedsbetrieben. Da kann man dann selbst in die Ställe schauen. Am 3. Oktober 2017 besuchen wir den Demeter-Geflügelhof Peter Schubert in Igensdorf. Er ist einer der wenigen Brutbetriebe, der Geflügelzüchtern das Zwei-Nutzungs-Küken anbietet und selber Hühner und Gockel bis zur Schlachtreife aufzieht.
Mit herzlichen Grüßen Wolfgang Ritter