Kann die Bundesregierung die die kleinbäuerliche Landwirtschaft retten?

Was die am Lebensmittelwirtschaftsprozess Beteiligten bisher nicht zustande gebracht haben, versucht nun die Politik zu richten. Sie lädt Bauernvertreter und Discounter-Chefs zu Gesprächen ein. Ist das der richtige Weg, um die kleinbäuerliche Landwirtschaft zu retten?

Es ist ein Skandal, dass unsere Bauern nicht von ihrer Arbeit leben können, dass sie von den großen Discountern oft über den Tisch gezogen werden (diktierte Lieferbedingungen, verspätete Bezahlung, Androhung von Vergeltungsmaßnahmen, Rückgabe nicht verkaufter Ware ohne Bezahlung).

Ursache: Das Angebot der Bauern ist größer als die Nachfrage. Nach den Gesetzen der Marktwirtschaft lässt das die Preise purzeln. Der einzelne Landwirt kann mit 34 Cent pro Liter Milch oder 17 Cent pro kg Weizen nicht dauerhaft über die Runden kommen. Kann er sich wehren? Alleine hat er es schwer. Aber es geht: Er kann ökologisch wirtschaften, um höhere Preise zu erzielen, im eigenen Hofladen oder auf Wochenmärkten selber verkaufen. Das rettet aber nicht die Masse der Landwirte. Wie könnte eine umfassende die Lösung aussehen?

Staatlich verordnete Mindestpreise sind jedenfalls nicht die Lösung; Billigimporte würden den Markt komplett ruinieren. Im marktwirtschaftlichen System müsste das Angebot reduziert werden! Dazu müssten die Bauern Erzeugergemeinschaften bilden, die Mengen und Preise beobachten und ihren Mitgliedern leichte Mengenreduzierungen empfehlen, wenn das Angebot zu groß ist, um das Marktgleichgewicht wieder herzustellen, so wie es Dominik Herrmann für den Bundesverband der Milchviehhalter beschreibt (siehe Nürnberger Nachrichten vom 4.2.20, S. 3).

Die grundlegende Frage aber ist: Will man die landwirtschaftlichen Erzeugnisse wirklich den Marktgesetzen aussetzen, oder sollte dieser Wirtschaftszweig, der unsere Lebensgrundlage garantieren soll, nicht anders reguliert werden? Der Bio-Verbraucher e.V. vertritt das Modell einer assoziativen Zusammenarbeit aller am Lebensmittelwirtschaftsprozess Beteiligten: Erzeuger (Landwirte und verarbeitende Industrie), Handel und Verbraucher. Einen Interessenskonflikt der Beteiligten wird es immer geben. Aber in gemeinsamen Gesprächen entwickelt man Verständnis für die andere Position. Diese Erfahrung hat jeder schon in Auseinandersetzungen mit dem Partner/ der Partnerin gemacht. Übertragen auf die Misere der Bauern bedeutet das: Der Handel kann eigentlich nicht wollen, dass der deutsche Landwirt stirbt, denn er will ja auch morgen noch regionale Produkte von ihm anbieten können.

Wie könnte nun eine assoziative Zusammenarbeit aussehen? Alle Beteiligten entsenden Vertreter ihrer Organisationen in eine regelmäßig stattfindende Lebensmittel-Mengen- und Preisfindungskommission; man könnte sie auch Lebensmittel-Assoziation nennen. Am Runden Tisch sitzen sich nun gegenüber: Vertreter der Landwirte, der verarbeitenden Industrie, des Handels und der Verbraucher. Wenn ich eine solche Sitzung zu leiten hätte, würde ich u.a. auch beispielhafte Kalkulationen besprechen. Was braucht der Landwirt z.B. für einen Liter Milch, für ein Kilo Weizen? Die Landwirte nennen dann z.B. 45 Cent pro Liter Milch und 30 Cent pro Kilogramm Weizen. Dann nennen Molkereien und Mühlen ihre Aufschläge. Schließlich wird die Handelsspanne aufgeschlagen. Die Ergebnisse für die wichtigsten Grundnahrungsmittel könnten auf diese Weise ermittelt und als Richtpreise festgesetzt werden, die nur in Ausnahmefällen, die auch zu besprechen wären, unterboten werden dürften. Milch, Fleisch, Gemüse würden möglicherweise teurer, Brötchen kaum, weil der Rohstoffkostenanteil gering ist. Da Vertreter der Verbraucher bei der Preisfindung dabei gewesen sind, werden sie Verständnis für Preiserhöhungen haben und über ihre Netzwerke kommunizieren. Auch dem Verbraucher liegt nichts am Bauernsterben, denn auch er will morgen noch regionale Produkte kaufen können.

Es ist die Zusammenarbeit, nicht die Konkurrenz, die zur Erfolgsgeschichte der Menschheit führte.

Charta für Assoziatives Wirtschaften im Biohandel

Ende 2017 kamen Vertreter von Bio-Erzeugern, -Händlern und –Verbrauchern in Alfter/Deutschland zusammen, um Grundsätze für eine assoziative Zusammenarbeit im Biohandel zu besprechen. Der Bio-Verbraucher e.V. war als Verbraucher-Vertreter dabei. Das Ergebnis: eine „Charta für Assoziativer Wirtschaften im Biohandel“.

1 Präambel
Eine zukunftsfähige Gesellschaft benötigt eine Wirtschaft, die eine ganzheitliche Entwicklung der kommenden Generationen ermöglicht, die Erde als lebendigen Organismus berücksichtigt und die tatsächlichen Bedürfnisse aller Menschen erfüllt. Der Wirtschaftskreis an der Sektion für Landwirtschaft ist Erkenntnis-, Innovations- und Forschungsorgan für die gesamte biodynamische Bewegung und nicht an eine Demeter-Markennutzung gekoppelt.

2 Das Prinzip der Assoziation
In der Assoziation treffen sich alle Beteiligten der Wertschöpfungskette, vom Erzeuger und Züchter bis zum Konsumenten, wobei die gegenseitige Wahrnehmung und der gemeinsame Interessensausgleich das Motiv aller Beteiligten ist. Dafür wird ein verbindlicher Raum für regelmäßige Assoziationsgespräche in Form von runden Tischen oder Betriebsentwicklungsgesprächen geschaffen. Auch gemeinsame Weiterbildungsveranstaltungen zu relevanten sachlichen und sozialen Themen gehören zu den Aktivitäten einer Assoziation. Mitwirkende des assoziativen Prozesses im Sinne dieser Charta sind in erster Linie Akteure des regionalen, nationalen und internationalen Biohandels.

3 Themen der Assoziation
Im Assoziationsgespräch wird über die Produkte und Produktionsverfahren in Mengen, Preis und deren Qualität gesprochen mit dem Ziel einer Vereinbarung über die gemeinsam besprochenen Themen. Eine möglichst transparente Gesamtkalkulation über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg dient als wesentlicher Richtungsweiser im Assoziationsgespräch.

Im Fokus steht die gemeinsame Bildgestaltung über
a) Produkte und Produktionsverfahren,
b) die beteiligten Menschen und ihre Unternehmen, sowie ihre Lebensverhältnisse,
c) den Sinn und die Verantwortung für das Gelingen des gemeinsamen Tuns.

Über die Produkte hinaus kann die Assoziation auch Investitionen, Kredite und freiwillige Unterstützungen behandeln und beschließen. Der einzelne Akteur entscheidet eigenständig und frei über seinen Eintritt in eine vertragliche assoziative Einbindung. Den Rahmen bilden die rechtlichen Vorgaben, insbesondere diejenigen des Wettbewerbs- und Kartellrechts, an die die Beteiligten gebunden sind.

4 Formale Regelungen in der Assoziation
Eine assoziative Interaktion zwischen Erzeugung, Handel und Konsum wird als freie Initiative unter den direkt Beteiligten angestoßen. Es gibt keine äußere kontrollierende Instanz. Es gilt das Prinzip der Selbstdeklaration.
Die assoziative Vereinbarung wird dokumentiert zur Information und Sichtbarmachung für alle direkten Partner und für die Charta-Gemeinschaft.  Der Wirtschaftskreis ist vorläufig der Ort der Begegnung und des Berichts. Der Wirtschaftskreis führt ein Büro für die Charta-Gemeinschaft, das die assoziativen Projekte koordiniert und unterstützt. Die Gemeinschaft und das Thema werden im IBDC vertreten.

5 Kommunikation der Assoziation
Die assoziative Qualität kann und soll kommuniziert werden. Kommunikation, die auf die Charta abstützt, wird in der Gemeinschaft mit voller Transparenz im Voraus offengelegt. In Luxemburg ist ein entsprechendes Label für Produkte schon angemeldet und in Gebrauch. Die Verwendung dieses Logos steht der Charta-Gemeinschaft perspektivisch frei, ohne dass dessen Weiterentwicklung oder die Entwicklung eines anderen Logos ausgeschlossen sind.

6 Die Charta
Diese Charta formuliert den Rahmen und die Grundsätze für die Mitglieder der Charta-Gemeinschaft. Die Realisierung vor Ort ist individuell. Die Charta-Gemeinschaft ist der Zusammenschluss der eigenständigen assoziativen Projekte.

7 Inkrafttreten
Die Liste der Erstunterzeichner aus der Versammlung vom 25. November 2017 in Luxemburg bezeugt das Inkrafttreten zu diesem Datum.
Quelle: Wirtschaftskreis der Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum/ Schweiz, Version 2.2 vom 26.03.2018