„Wir brauchen mehr Menschen, die Rindfleisch essen“

„Wir brauchen mehr Menschen, die Rindfleisch essen“

Ulrich Mück, Agraringenieur, Öko- und Demeter-Berater, freiberuflicher Fachautor und Referent, hielt am 16. Okt 2022 zur Demeter-Herbsttagung in Nürnberg einen Vortrag zum Thema „Klimakiller oder unersetzbar? Die Bedeutung der Rinder im Organismus Erde, Landwirtschaft und Ernährung“. Wir bringen hier Ausschnitte aus einem Interview, das er am 30.09.2022 im ntv Klima-Labor gab.

ntv.de: Sie sagen: Es essen nicht genug Menschen Rindfleisch? Viele werden jetzt wahrscheinlich hinterfragen, was sie in den letzten 10 oder 20 Jahren gehört und gelernt haben. Erläutern Sie bitte.

Wenn wir uns anschauen, welche landwirtschaftlichen Flächen der Erde die Menschen ernähren, haben wir mindestens zwei Drittel Grünland und ein Drittel Acker. Veganer müssen sich aus dem Acker ernähren, denn das Grünland wird von Pflanzenfressern und speziell Rindern in Fleisch und Milch umgewandelt. Die Grünlandfläche leistet den überwiegenden Anteil an der Ernährung der Menschen. Insofern muss man sagen, dass die Menschen ohne Fleischesser auf der Erde nicht ernährt werden könnten.

Das Problem ist also die Betrachtung, nicht die Rinder?

Wir müssen klimaschonende oder klimaschädliche Ernährung flächenbezogen betrachten: Welche Flächen gibt es auf der Erde? Wofür eignen die sich? Nachhaltig wird Ernährung nur dann, wenn sich Menschen entlang dieser Flächen ernähren. Ein Einzelner kann dann natürlich für sich entscheiden, ich ernähre mich vegetarisch. Nur muss ganz deutlich sein: Für alle Menschen geht das nicht. Wir brauchen viele Esser von Rindfleisch auf der Erde. Ein wesentlicher Punkt, der bei Rindern noch dazukommt: Methangas spielt eine große Rolle. Die Klimawirkung von Methan wurde in Bezug auf die Rinder aber über viele Jahre falsch, also zu stark eingeschätzt.

Warum zu stark? Wir wissen doch, dass Methan eines der schädlichsten Klimagase ist. Es verbleibt nicht ganz so lange in der Atmosphäre wie CO2, aber es hat einen starken kurzfristigen Effekt bei der Erderwärmung.

Aber solange ein immer gleichbleibender Level von Methan ausgeschieden wird, der innerhalb eines Jahrzehnts weitgehend abgebaut wird, verliert es seine temperatursteigernde Klimaschädlichkeit. Jedenfalls, solange keine neuen Quellen dazukommen, was bei den Rindern nicht der Fall ist. Die scheiden bereits seit 30 Millionen Jahren Methan über ihr Verdauungssystem aus.

Aber durch die Massentierhaltung gibt es doch heute viel mehr Rinder auf der Erde.

Nicht in Deutschland und nicht in Bayern. Für Bayern kann ich dank einer großen Viehzählung im Bayerischen Königreich im Jahr 1873 sogar belegen, dass damals 22,7 Prozent mehr Kühe vorhanden waren als heute.

Dann müssen wir aber auch andere Aspekte betrachten wie zum Beispiel die Ernährungssicherheit, die nicht berücksichtigt wird. Rinder spielen eine ungeheuer wichtige Rolle für Biodiversität und für Kohlenstoff-Einbindung. 30 Millionen Jahre lang haben sie durch ihren Verbiss im Grünland die heimischen Pflanzen immer wieder angeregt, neue Wurzeln auszutreiben, während die alten den Kohlenstoff im Boden angereichert haben. Deshalb hat Grünland einen 1,2 bis 5 Mal höheren Kohlenstoffgehalt als ein durchschnittlicher Acker.

Das gilt doch aber auch nur für Rinder, die draußen auf der Weide herumlaufen dürfen und nicht für diejenigen, die irgendwo in einem riesigen Stall stehen.

Wenn Rinder mit Grünland gefüttert werden, sind sie klimaschonend und klimapositiv. Wenn sie, wie das in vielen konventionellen Tierhaltungen getan wird, hohe Anteile ihrer Rationen über Kraftfutter erhalten, nicht. Aber Grünland und Rinder sind eine naturgegebene, wunderbare Paarung. In dieser Form sind Rinder auch Verdauungswunder, die eine minderwertige, nicht für den Menschen verfügbare Biomasse in Lebensmittel umwandeln können.

Nehmen wir das Extrembeispiel Brasilien. Dort werden riesige Flächen gerodet, damit Rinder weiden können. Wie ordnen Sie dieses System ein?

Solche Feedlots, wie man sie auch aus Mexiko oder den USA kennt, sollte man nicht unterstützen und solche Rinder sollte man nicht verzehren. Aber wir sind in Deutschland und haben Rindfleisch aus dem Ökolandbau und aus der Weidehaltung. Das ist eindeutig eine klimaschonende Ernährung, die man fördern sollte.

Okay, im besten Fall kein Rindfleisch aus Brasilien, Mexiko oder den USA, sondern nur aus Ökolandbau und aus Deutschland. Und in welchen Mengen? Sie haben vorhin gesagt, es braucht mehr Menschen, die Rindfleisch essen.

Der Fleischverzehr in Deutschland ist ungeheuer groß und muss reduziert werden. Aber 83 Prozent des Schlachtgewichts sind Schwein und Huhn, nur 15 Prozent Rindfleisch. Fleischreduzierung also bitteschön bei den Tieren, die eigentlich systemische Lebensmittelverschwender sind. Denn deren Fleisch und deren Eier gehen daraus hervor, dass ungeheuer viele Lebensmittel verfüttert werden. Bei jeder Ration sind es etwa 80 Prozent. Das ist verschwenderisch.

Der Vorteil von Rindern und Kühen ist also, dass sie praktisch aus nichts beziehungsweise aus Dingen, die der menschliche Körper nicht verarbeiten kann, brauchbare Nahrungsmittel machen. Schweine und Hühner dagegen essen dasselbe wie der Mensch.

Ja, es sind Nahrungsmittelkonkurrenten. Das Rind – zumindest potenziell – nicht. Es kann aus 100 Prozent Gras 100 Prozent Lebensmittel in Form von Fleisch und Milch herstellen.

Aber das setzt natürlich voraus, dass Länder wie Brasilien ihre Rinderwirtschaft auch auf eine nachhaltige umstellen.

Das würde für viele Länder eine ganz andere Orientierung bedeuten. Das Erstaunliche ist, dass der Begriff der Nahrungssouveränität in der Entwicklungshilfe schon seit Jahrzehnten zentral ist: Jede Gesellschaft sollte in der Lage sein, den überwiegenden Anteil der eigenen Nahrungsmittel selbst herzustellen. Das sollten wir auch auf uns anwenden und sagen: Wir essen zuerst die Lebensmittel, die auf unseren heimischen Flächen entstehen. Für die Welt insgesamt wäre das ein sehr wichtiger politischer Ansatz.

Quelle und vollständiges Interview: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wir-brauchen-mehr-Menschen-die-Rindfleisch-essen-article23617204.html