Wie Agro-Gentechnik zum Artenschwund führt

Eine von acht Millionen Tier- und Pflanzenarten sind auf unserem Planeten vom Aussterben bedroht, gab der Weltbiodiversitätsrat gestern bekannt. Dazu trägt die industrialisierte Landwirtschaft mit Monokulturen gentechnisch veränderter Pflanzen (GVO), die mit passenden Pestiziden besprüht werden, wesentlich bei. Die Bundesumweltministerin forderte eine grundlegende Reform der Agrarpolitik.

„Besonders schlecht geht es Vögeln und Insekten, die in der Agrarlandschaft leben“, sagte Josef Settele, einer der leitenden Autoren des neuen Biodiversitätsberichts, der Süddeutschen Zeitung (SZ). Zum einen fänden sie auf den effektiv genutzten Agrarflächen keinen Lebensraum mehr. Zum anderen machen den Insekten, die wiederum die Vögel ernähren, Insektizide und Insektengift produzierende Gentech-Pflanzen zu schaffen. Setteles Lösung: Pestizideinsatz in der Landwirtschaft reduzieren. „Ich bin nicht für ein totales Verbot“, so der Insektenforscher gegenüber der SZ. „Aber ich bin überzeugt, dass der Einsatz dieser Mittel deutlich zurückgefahren werden kann, ohne dass die Produktion darunter leidet.“

„Die Gentechnik trägt mit GVO-Monokulturen, hohem Pestizideinsatz und der Verengung der angebauten Sorten- und Artenvielfalt direkt zur Verdrängung bio-diverser Kulturlandschaften und zum Artensterben in der Landschaft bei“, kritisierte auch Daniela Wannemacher, Gentechnikexpertin beim Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND. Dabei habe der Bericht auch ergeben, dass die genetische Vielfalt dramatisch zurückgehe. „Und die Erhaltung von Diversität betrifft auch das genetische Erbe“, so Wannemacher. In der Landwirtschaft schrumpft die genetische Vielfalt etwa, weil zunehmend genetisch verändertes Saatgut der Agrarkonzerne den Anbau dominiert. Konventionelle regionale Sorten werden weniger weiterentwickelt.

Dass sich Genveränderungen auch auf die Inhaltsstoffe einer Pflanze oder Farbe und Geruch ihrer Blüten auswirken können, darauf wies die gentechnikkritische Organisation Testbiotech am Beispiel der Leinsaat hin. Dies könne erhebliche Auswirkungen auf Bienen und andere Insekten haben. Die Veränderungen könnten Wachstum und Fruchtbarkeit der Organismen beeinflussen, die sich von diesen Pflanzen ernähren. Entsprechende Effekte könnten sich dann in der Nahrungskette fortsetzen und auf die natürliche Artenvielfalt auswirken.

Für Peter Röhrig vom Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft hat der Biodiversitätsbericht eine zentrale Botschaft: „Wir brauchen eine grundlegende Systemänderung – insbesondere im Bereich Landwirtschaft und Ernährung.“ Eine zukunftsfähige Lebensmittelwirtschaft brauche stabile, vielfältige Systeme – und eine darauf ausgerichtete Züchtung, die ebenfalls auf genetische Vielfalt und Anpassungsfähigkeit setzt. „Öko-Bäuerinnen und Bauern auf der ganzen Welt beweisen jeden Tag, dass und wie eine Lebensmittelproduktion funktioniert, die uns mit gutem Essen versorgt, und gleichzeitig unseren Planeten erhält“, so Röhrig. Die Bio-Züchtung habe bereits viele erfolgreiche Ansätze entwickelt, wie das künftig noch besser gelingen könne. Hierauf müsse man künftig die Ressourcen konzentrieren.

Für den Biodiversitätsbericht haben 450 Wissenschaftler aus 50 Staaten drei Jahre lang nahezu 15.000 Studien ausgewertet. Sie stellten fest, dass die Arten heute hundertmal schneller aussterben, als in den vergangen zehn Millionen Jahren. Ein Drittel der Landfläche und 75 Prozent des Wassers werden heute von der Landwirtschaft genutzt. Die Nahrungsmittelproduktion hat sich seit 1970 verdreifacht. Doch die Ressourcen seien begrenzt, warnen die Autoren. Mit der Artenvielfalt leide auch die Leistungsfähigkeit der Ökosysteme und damit die sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln weltweit, warnte Settele. [vef]
Quelle: www.keine-gentechnik.de/nachricht/33682/, Newsletter vom 07.05.2019, Auszug

Unsere Natur stirbt

Liebe Leserinnen und Leser,

der IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services), auch Weltbiodiversitätsrat genannt, hat der Welt in Paris Anfang Mai den bedrohlichen ökologischen Zustand der Erde vor Augen geführt. Der Raubbau an der Natur schreitet immer schneller voran. Etwa eine Million Arten könnten in den nächsten Jahrzehnten verschwinden. Mehr als ein Viertel der untersuchten Tier- und Pflanzengruppen sind bedroht. Das ist mehr als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Wir zerstören unsere Lebensgrundlage. Prof. Dr. Michael Schrödl, Leiter der Weichtiersektion an der Zoologischen Staatssammlung München, klärt über die 10 größten Irrtümer zum Artensterben auf.

1 Die Artenvielfalt ist hinreichend bekannt.
Von wegen: Etwa 1,5 Millionen Tierarten kennt man bisher, doch ständig finden wir neue Arten. Weitere 2-20, vielleicht sogar 100 Millionen Arten werden noch vermutet.
2 Was interessieren uns Arten, die wir nicht einmal kennen?
Etwa 20.000-60.000 Tierarten gehen pro Jahr global verloren. Doch die wenigsten davon waren der Wissenschaft oder gar der Öffentlichkeit bekannt. Deshalb schert sich auch kaum jemand darum. Nur was man kennt, wird geschätzt, und nur was man schätzt wird geschützt!
3 Das Artensterben betrifft mich doch gar nicht!
Der Verlust von Pflanzen und Tieren, Individuen, Populationen und Arten, von genetischer Vielfalt, Funktionen im Ökosystem, Schädlingsresistenzen und natürlichen Heilsubstanzen betrifft und schädigt alle Menschen wirtschaftlich, kulturell, gesundheitlich und moralisch.
4 Es gibt echt Schlimmeres als das Artensterben!
Wenn wir auch nur annähernd so weitermachen wie bisher, gibt es in wenigen Jahrzehnten keine artenreichen Korallenriffe oder Primärregenwälder mehr. Apokalyptische Überschwemmungen, Dürren, Plagen, Hungersnöte, Migration und Kriege wären die Folge.
5 Das größte Umweltproblem ist doch der Klimawandel!
Das Artensterben ist schneller und hat bereits katastrophale Ausmaße erreicht. Die zunehmend schnellere Erderwärmung gibt der verbleibenden natürlichen Vielfalt dann noch den Rest. Es wird allerhöchste Zeit, die Biologie als Kernelement des Klimaschutzes zu betrachten!
6 Also kann man doch eh‘ nichts ändern!
Wir Industrielandbewohner müssen uns sehr bald und massiv ändern – auch die Wirtschaft und die Politik! Wir müssen auf eine nachhaltige Lebensweise umstellen, insbesondere bei der Ernährung. An „Bio“ und „weniger tierische Produkte essen“ führt kein Weg vorbei.
7 Ich mache doch schon genug!
Blumenkästen auf dem Balkon reichen leider nicht. Nichts von dem, was wir momentan als Einzelne gegen Artenschwund und Klimakrise tun, reicht. Trotzdem müssen wir uns bemühen, uns gegenseitig Mut machen und auf ein Einsehen der Politik drängen.
8 Das sollen die Politiker regeln!
Sollten sie, aber um das Richtige tun zu können, benötigt man gute Informationen und auch guten Willen. Die Daten und Warnungen bekommen sie von den Wissenschaftlern. Der Wille käme durch eigene Werte und Prioritäten oder durch den Druck der KonsumentInnen und BürgerInnen zustande.
9 Ist doch viel zu teuer, all‘ das Kleingetier zu retten!
Falsch, es wäre viel teurer, die Artenvielfalt nicht schleunigst und bestmöglich zu retten: Schon jetzt gehen durch den globalen Artenschwund wohl Werte von 5 Billionen Dollar pro Jahr verloren! Tendenz steigend.
10 Dann stellen wir eben 20% der Erde unter Schutz.
Der Schutz und die Renaturierung riesiger Flächen und Lebensräume muss sein! Wir alle müssen unsere Einstellung, unsere Prioritäten, unser Verhalten ändern. Freiwillig, rasch und wirksam – oder unfreiwillig, teuer und äußerst schmerzhaft, für die meisten von uns wohl tödlich.

Auszug aus: Michael Schrödl: Unsere Natur stirbt – Warum jährlich bis zu 60.000 Tierarten verschwinden und das verheerende Auswirkungen hat, 2018, ISBN: 978-3-8312-0478-6

Mit herzlichen Grüßen
Ihr Wolfgang Ritter