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Dr. Konrad Egenolf: Bodenprofil mit humosem Oberboden

Die neue Humustheorie

Ein Beitrag von Dr. Konrad Egenolf

Eine weitere Schwachstelle der klassischen Humustheorie war der fehlende Nachweis der Huminstoffe im Boden selbst. Lange Zeit standen die dafür nötigen Analysetechniken schlicht und einfach nicht zur Verfügung, erst zu Beginn der 2000er standen spektroskopische Techniken bereit (Nano SIMS), die eine Untersuchung der organischen Bodensubstanz direkt
im Boden, also ohne Extraktionsschritt, ermöglichten. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen waren revolutionär. Die Huminstoffe, wie man sie bislang beschrieben hatte, fand man im Boden nicht. Die Verbindungen, die den Dauerhumus ausmachten, waren genau die einfachen Moleküle, z.B. Proteine, Lipide oder Polysacharide, die insbesondere beim mikrobiellen Abbau leicht zersetzbarer Pflanzenreste entstehen. Keinesfalls handelte es sich um die komplexen und stabilen Verbindungen, die man in den alkalischen Extrakten gefunden hatte, Huminstoffe schienen ein Artefakt des Extraktionsverfahren zu sein.

Stattdessen ließ sich die Stabilität der Dauerhumusfraktion auf einen anderen Umstand zurückführen. Die besonders alte organische Bodensubstanz fand sich auf den Oberflächen der Tonmineralien. Calcium- oder Aluminium-Kationen fungieren dabei als Brückenbildner für
sogenannte Ton-Humus-Komplexe, durch die die organische Bodensubstanz effektiv vor mikrobiellem Abbau geschützt wird (siehe Grafik). Noch etwas war auffällig: In den Ton-Humus-Komplexen entdeckte man einen hohen Anteil mikrobieller Zellwandbestandteile – ein
Hinweis auf abgestorbene Mikroorganismen. Hier lag die klassische Humustheorie also doch nicht ganz falsch, das Bodenmikrobiom ist entscheidend für die Humusneubildung. Aber damit die mikrobiellen Abbauprodukte und Überreste abgestorbener Mikroorganismen in Ton-
Humus-Komplexen stabilisiert werden können, müssen die Mikroben ihr Futter in unmittelbarer Nähe der Tonpartikel verdauen, sprich Organik und mineralische Bodenmatrix müssen in direkten Kontakt kommen. Am effektivsten scheint dies durch Pflanzenwurzeln und insbesondere ihre Ausscheidungen (Wurzelexsudate) bewerkstelligt zu werden. Auch wenn
diese Ergebnisse noch nicht sehr konsolidiert sind, zeichnet sich ab, dass Wurzelexsudate, die in den Boden hineindiffundieren und sich so fein verteilen, um ein Vielfaches (Faktor 2-10) effektiver zum Aufbau stabiler Ton-Humus-Komplexe beitragen als abgestorbene Pflanzen- und
Wurzelreste oder Wirtschaftsdünger.

Letztere tragen nach der neuen Humustheorie eher zur sogenannten partikulären organischen Substanz, auf Englisch particulate organic matter (POM), bei. Diese beschreibt in Bodenaggregaten eingeschlossene Streustoffe, die durch den Einschluss konserviert werden. Eine Ausnahme bilden Pflanzen- oder Erntereste, die als Mulchauflage auf dem Acker
verbleiben. Diese dienen den Regenwürmern als Nahrung, durch die im Darm der Tiere stattfindende Durchmischung mit dem Mineralboden wird die Organik hier wiederum sehr effektiv in Ton-Humus-Komplexen stabilisiert.

Konsequenzen für die Landwirtschaft
1) Humus durch intaktes Bodengefüge vor mikrobiellem Abbau schützen
Der erste Paradigmenwechsel, der sich aus der neuen Humustheorie ergibt: Humus unterliegt einem kontinuierlichen Abbau. Der als Dauerhumus bezeichnete Teil ist keineswegs resistent gegenüber mikrobiellem Abbau, sondern nur solange geschützt wie er in Bodenaggregaten eingeschlossen (POM) oder an Tonmineralien sorbiert (Ton-Humus-Komplexe) vorliegt. Der in der POM-Fraktion gespeicherte Kohlenstoff überdauert Jahrzehnte bis wenige Jahrhunderte im Boden, der in den Ton-Humus- Komplexen gespeicherte Kohlenstoff kann viele Jahrhunderte im Boden überdauern. Für die Stabilisierung der Aggregate und die Bildung der Ton-Humus-
Komplexe ist in unseren Breiten Calcium der entscheidende Brückenbildner. Wird die Calcium-Versorgung eines Standorts vernachlässigt, leidet die Bodenstruktur, die organische Bodensubstanz wird weniger gut stabilisiert und es kann zu Humusverlusten kommen. Intensive Bodenbearbeitung schädigt ebenfalls die Bodenstruktur. Durch den mechanischen Eingriff werden Aggregate aufgebrochen, die darin konservierte organische Bodensubstanz wird freigelegt und durch das Bodenleben verstoffwechselt. Der einer Bodenbearbeitung folgende Mineralisationsschub ist ein Indiz dafür. Durch die mechanische Bodenbearbeitung haben Ackerböden im Vergleich zu Grünland- oder Waldböden typischerweise deutlich
niedrigere Gehalte an partikulärer organischer Substanz (POM).

2) Mikrobielle Aktivität für die Humusneubildung fördern
Was zunächst kontraintuitiv erscheint, ist die zweite wichtige Erkenntnis aus der neuen Humustheorie. Sowohl für die Bildung der partikulären organischen Substanz als auch für die Entstehung von Ton-Humus-Komplexen bedarf es eines aktiven Bodenlebens. Die Verklebung
der Bodenpartikel zu Aggregaten (POM) wird maßgeblich durch pflanzliche und mikrobielle Schleimstoffe und durch das von Pilzhyphen produzierte Glomalin gefördert. Bei dem in Form von Ton-Humus-Komplexen stabilisierten Kohlenstoff handelt es sich zum Großteil um Stoffwechselprodukte und Zellwandbestandteile von Mikroorganismen. Mikrobielle Aktivität ist also eine Grundvoraussetzung für die Humusneubildung.

3) Das Bodenleben kontinuierlich ernähren
Ein aktives Bodenmikrobiom braucht Nahrung. Solange es durch einen wachsenden Pflanzenbestand ernährt wird, trägt es zur Humusneubildung bei. Sinkt das Nahrungsangebot, z.B., weil der Boden brachliegt, wird es sich am Humus bedienen. Dies ist ganz besonders im Sommer nach der Ernte relevant, da die mikrobielle Aktivität dann aufgrund erhöhter Bodentemperaturen besonders hoch ist – ausreichende Bodenfeuchte
vorausgesetzt. Am konsequentesten lässt sich eine kontinuierliche Ernährung des Bodenlebens durch eine Dauerbegrünung erreichen. Die Umwandlung von Acker in Dauergrünland ist nicht umsonst die effektivste Möglichkeit Humus aufzubauen. In ackerbaulichen Systemen sollten Brachezeiten durch Zwischenfruchtanbau, idealerweise Untersaaten, minimiert werden.

Zu Nahrungsengpässen und damit verbundenem Humusabbau kann es aber auch nach einer Düngung kommen. Dieses Phänomen wird als Priming-Effekt bezeichnet. Insbesondere nach
der Düngung leicht zersetzbarer organischer Substanz (aber auch mineralischer N-Dünger), kann es zu einer überschießenden mikrobiellen Aktivität kommen, die mehr Kohlenstoff veratmet als ursprünglich zugeführt wurde. Folglich kann es auch dann effektiv zu einem
Humusabbau kommen. Bei sich langsam zersetzenden organischen Düngemitteln (z.B. Rottemist oder Kompost) ist dies weniger relevant, sie gelten daher gemeinhin als Humusfördernd.

Fazit
Es dürfte klar sein, dass in der landwirtschaftlichen Praxis nicht alle der vorgeschlagenen, Humus-fördernden Maßnahmen konsequent umgesetzt werden können. Einige der aus der neuen Humustheorie abgeleiteten Empfehlungen müssen noch durch pflanzenbaulich Experimente überprüft werden. Die neue Humustheorie ist zunächst der Versuch die im Boden ablaufenden Prozesse zu beschreiben. Und vieles spricht dafür, dass sie
dabei der Wirklichkeit deutlich näherkommt als unsere klassische Humustheorie. Damit bietet sie Orientierung für ein Bodenmanagement, das unsere Böden als lebendiges Ökosystems anerkennt und unsere Bodenfruchtbarkeit sowie Bodengesundheit langfristig erhält.
Quelle: Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, https://www.landwirtschaftskammer.de