Bericht von Wolfgang Ritter
Rudolf Steiner ist nicht nur der Vater der biologischen Landwirtschaft (siehe Rubrik 2/ Landwirtschaft und Handel, Ursprung der biologischen Landwirtschaft: acht Vorträge Rudolf Steiners, 1924 gehalten vor etwa 100 Landwirten und Interessierten), sondern auch der Ideengeber für eine assoziative Zusammenarbeit. In „Die Kernpunkte der sozialen Frage“ (GA 23) 1919 und in „Nationalökonomischer Kurs“ (GA 340), 14 Vorträge 1922 gehalten für Studenten der Volkswirtschaftslehre und in vielen Vorträgen, empfiehlt er eine Zusammenarbeit aller am Wirtschaftsprozess Beteiligten. Einige Gedanken aus der genannten Literatur mögen helfen zu verstehen, was Rudolf Steiner vorschwebte.
Jeder Partner im Handelsprozess sieht einen Vorteil; dem Käufer erscheint die Ware begehrenswerter als das Geld, das er besitzt oder sich für den Kauf leiht, der Verkäufer begehrt das Geld mehr als die Ware, die er anbietet, weil er damit das Erzeugte oder selbst Erworbene bezahlen und neue Produkte herstellen oder einkaufen kann. Der einzelne Handelspartner wird sich aber niemals ein richtiges Urteil über den gesamten Wirtschaftsprozess bilden können, denn er verfolgt ja nur eigene Interessen. Die können aber zu Störungen im volkswirtschaftlichen Prozess führen, z.B. Warenüberangebot, Warenknappheit, überhöhte oder zu niedrige Preise oder kein Zugang zu Krediten für sinnvolle Projekte. Durch die Fachleute in den zu bildenden wirtschaftlichen Assoziationen kann das Einzelurteil korrigiert werden, sie können zu einem ausgewogenen Urteil der richtigen Warenzirkulation kommen und Empfehlungen aussprechen. Außerdem: „Die (Assoziation) vermittelt ihm (dem Unternehmer) die vernünftigste Art und Weise, wie er leihen kann, und vermittelt ihm die vernünftigste Art, wie er schenken kann“ (GA 340, 12. Vortrag). Der kulturelle Bereich in der Volkswirtschaft ist auf Schenkungen aus der Wirtschaft angewiesen, denn er erwirtschaftet nur selten die entstehenden Kosten.
Zum „richtigen“ Preis sagt Rudolf Steiner: „Dieser muss so sein, dass jeder Arbeitende für ein Erzeugnis so viel an Gegenwert erhält, als er zur Befriedigung sämtlicher Bedürfnisse bei ihm und den zu ihm gehörenden Personen nötig ist, bis er ein Erzeugnis der gleichen Arbeit wieder hervorgebracht hat. Ein solches Preisverhältnis kann nicht durch amtliche Feststellung erfolgen, sondern es muss sich als Resultat ergeben aus dem lebendigen Zusammenwirken der im sozialen Organismus tätigen Assoziationen“ (GA 23, Fußnote in Kapitel 3).
Assoziative Zusammenarbeit im Bio-Verbraucher e.V.
Zu Assoziationen, die in der geschilderten Weise handeln, ist es meines Wissens nicht oder nur ansatzweise gekommen. Aber es gibt einige Initiativen, die Elemente einer assoziativen Zusammenarbeit verwirklichen. Im Bio-Verbraucher e.V. kommt es uns darauf an, alle am Bio-Wirtschaftsprozess im Verein zusammenzubringen: Bio-Erzeuger, Bio-Händler, Bio-Dienstleister, Bio-Verbraucher. Wir schätzen die Arbeit unserer Bio-Anbieter, wir wollen, dass sie uns auch in Zukunft versorgen, wir lernen sie kennen, um ihre Arbeitsweise zu verstehen und wirklich zu würdigen wissen. Das geschieht durch Eintrag der Firma, des Angebotes und der Vertriebswege auf unseren Internetseiten, www.netz.bio/Bio-Adressen, durch Firmenberichte und Terminankündigungen von Firmen-Events in unserem Info-Brief, Firmenbesuche und Kontakte auf der Bio-Leitmesse BioFach in Nürnberg. Auch bei unseren Mitgliederversammlungen stellen sich immer einige Bio-Firmen vor. Manche haben auch schon Vorträge für uns gehalten.
Regionale und bundesweite assoziative Zusammenarbeit
Ständig besprechen wir uns in der Bio-Metropole Nürnberg und mit anderen am Bio-Wirtschaftsprozess interessierten Organisationen, wie wir gemeinsam die Bio-Idee voran bringen oder ein Verständnis für bestimmte Erzeugnisse wecken können. Ein Projekt, das schon seit mehr als 15 Jahren wiederholt wird, ist die Bio-Brot-Boxaktion: mehr als 10.000 Erstklässler erhalten nach der Einschulung eine mit Bio-Produkten gefüllte Box, die sie gemeinsam mit ihren Lehrern erkunden und leeren. Bei solchen Besprechungen treffen sich oft wirklich alle am Bio-Wirtschaftsprozess Beteiligten: Erzeuger, Händler Verbraucher. Wir nennen diese Arbeit auch tri-sektorale Zusammenarbeit, weil Firmen, zivilgesellschaftliche Organisationen und die Politik (städtisches Gesundheitsamt) beteiligt sind.
Auf eigene Initiative haben wir auch schon einmal mit einer Molkerei, einigen Milcherzeugern und Wissenschaftlern zusammen beraten, wie die Joghurt-Qualität verbessert werden könnte. Auf Bundesebene wurden wir zweimal zu assoziativen Gesprächen über die Apfelqualität eingeladen. Die deutschen Obsterzeuger und Vertreter von Groß- und Einzelhandel wollten wissen, wie wir Bio-Verbraucher zum Aussehen der Äpfel stehen. Wir erfuhren, dass auch die Bio-Erzeuger durch vermehrte Anwendungen von zugelassenen Bio-Spritzmitteln den perfekten Apfel anbieten könnten – dann allerdings zu erhöhten Preisen. Nach einer Umfrage unter Bio-Verbrauchern konnten wir das Ergebnis präsentieren. Der perfekte Apfel ist unter Bio-Verbrauchern unbeliebt, unbedeutende Schorfstellen werden in Kauf genommen, wenn der Apfel gut schmeckt. (Bei Rubrik 3/Wissenschaft/ Forschung wird dieser Prozess beschrieben.)