Der Umbau des Agrar- und Ernährungssystems ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Liebe Leserinnen und Leser,

 

die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL), 31 Akteure aus Wirtschaft, Umwelt, Landwirtschaft, Tier- und Verbraucherschutz, Wissenschaft, hat im Juli 2021 ihren Bericht an die Bundesregierung übergeben. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Mitglied der ZKL, berichtet. Wir bringen Ausschnitte:

 

„Eine wichtige Voraussetzung, unter der es möglich war, eine so beeindruckende Einigkeit zu erzielen: Wir müssen den Umbau der Landwirtschaft in Deutschland und Europa so organisieren, dass die landwirtschaftlichen Betriebe den Weg mitgehen können, ohne auf der Strecke zu bleiben. Das Ziel ist deshalb: es muss sich wirtschaftlich lohnen, die Umwelt zu schonen, klimaneutral zu produzieren und Tiere artgerecht zu halten.“ Für einige Passagen kommentiert Löwenstein, was die Politik konkret angehen muss und wobei Bio als Trittstein für den Umbau genutzt werden kann:

 

Gerade in strukturschwachen Regionen zeigt beispielsweise der Ökolandbau, wie dort durch integrierte Entwicklung von Landwirtschaft und Verarbeitung neue Wertschöpfungscluster entstehen können. „Unsere Gesellschaft ist nicht stabil ohne lebendige, lebenswerte ländliche Räume. Dafür spielt die Lebensmittelwirtschaft eine zentrale Rolle, denn sie beginnt mit dem, was dort entsteht: Gemüse, Milch, Fleisch oder Getreide. Die nächste Bundesregierung wird einen wirtschaftspolitischen Schwerpunkt darauf legen müssen, mittelständische, nach ökologischen Prinzipien ausgerichtete Verarbeitungsunternehmen zu unterstützen – beispielsweise Schlachtstätten. Die gnadenlose Zentralisierung der letzten Jahrzehnte hat handwerkliche, mittelständische Betriebe ausgelöscht, Bauernhöfe in alternativlose Abhängigkeit gebracht und regionale Wertschöpfung verhindert.“

 

Der Ökolandbau ist derzeit das einzige integrierte Bewirtschaftungsmodell, das die Bewirtschaftung, Zertifizierung und Vermarktung umfasst und das über einen nennenswerten und sehr dynamischen eigenen Markt verfügt […]. „Auch wenn in den nächsten neun Jahren das Ziel der EU ist, den Öko-Landbau auf 25% auszuweiten, so muss auch der Rest der Landwirtschaft gleichzeitig grundlegend umgebaut werden. Die Ökologische Lebensmittelwirtschaft hat deshalb nicht nur die Aufgabe, ihre Leistungen für Natur- und Klimaschutz sowie Tierschutz und gesunde Ernährung entsprechend zu vergrößern. Sie kann zusammen mit ihren Kundinnen und Kunden auch als Pfadbereiter für die Transformation der gesamten Land- und Ernährungswirtschaft wirken. Denn viele ihrer Innovationen entstehen unter den Anforderungen, die über kurz oder lang für alle gelten werden.“

 

Für das Ernährungssystem ist unter anderem charakteristisch, dass ein erheblicher Teil der aus den anspruchsvoller gewordenen Nachhaltigkeitszielen sich ergebenden Herausforderungen nicht allein technisch durch Effizienzsteigerungen gelöst werden kann. Es ist auch eine Weiterentwicklung von Konsum- und Ernährungsstilen […] notwendig. „Der Umbau unseres Agrar- und Ernährungssystems hin zu wirklicher „Enkeltauglichkeit“ ist eine Aufgabe, die alle betrifft: nicht nur die Bäuerinnen, sondern die gesamte Wertschöpfungskette, die Kunden und die Politik. Wenn die neue Bundesregierung ihn an ein einziges Ressort delegiert, wird sie vier Jahre später feststellen, dass der Umbau nicht stattgefunden hat. Wir fordern deshalb – ebenso wie für die Klimapolitik – ein Querschnittsprogramm der gesamten Bundesregierung, in dem alle Politikinstrumente aufeinander abgestimmt sind, die diesen Umbau begleiten und in ihm den Ökologischen Landbau stärken.“ Quelle: presse@boelw.de vom 05.07.2021

 

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Wolfgang Ritter

Agrarpolitik muss endlich zum Teil der Klimapolitik gemacht werden

Zuschrift von foodwatch vom 20.09.2019

Sie haben es wahrscheinlich in den Medien verfolgt oder waren selbst auf der Straße: Heute haben Hundertausende für eine klimafreundlichere Politik gestreikt. Auch wir von foodwatch waren bei der Demo in Berlin dabei. Wir fordern, endlich die Landwirtschaft beim Thema Klima in die Pflicht zu nehmen. Denn hier gibt es enorme Einsparpotenziale. Die Landwirtschaft verursacht in etwa so viele klimaschädliche Gase wie der Straßenverkehr! Wie eine neue foodwatch-Analyse belegt, entstehen durch die Agrarbranche in der EU jährlich Klimaschäden in Höhe von 77 Milliarden Euro.

Das macht deutlich: Die Klimadebatte sollte nicht nur um Flugreisen und SUVs kreisen, denn die Landwirtschaft ist mit ihrer Überproduktion an Fleisch und klimaschädlichen Anbaumethoden eine riesige Treibhausgas-Schleuder. Statt diese Missstände anzugehen, fördert der Staat das fehlgeleitete Wirtschaften noch mit Milliardensubventionen. foodwatch fordert die Bundesregierung auf, die Agrarpolitik endlich zum Teil der Klimapolitik zu machen und verbindliche Vorgaben für die Einsparungen von CO2-Äquivalenten zu formulieren.

Doch wie könnten das aussehen? Das Verursacherprinzip muss gelten: Die Landwirtschaft muss für die von ihr verursachten Klima- und Umweltschäden aufkommen. Das senkt die Klima-Emissionen und macht umweltfreundlich erzeugte Produkte günstiger, umweltschädlichere Produkte teurer. Nur mit einer umfassenden ökologischen Reform des gesamten Agrarsektors lassen sich diese Einsparungen erzielen.

Wie ist unsere Studie entstanden? foodwatch hat zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu den sogenannten externen Effekten der Landwirtschaft analysieren lassen. Darunter versteht man Kosten, die durch landwirtschaftliche Produktion zum Beispiel in der Umwelt entstehen – die aber nicht von Verursachern, sondern von der Allgemeinheit getragen werden. Die Studienauswertung zeigt, wie enorm die externen Effekte der Landwirtschaft seien, insbesondere auf das Klima.
Mehr zu der Studie: www.foodwatch.org: EU-Landwirtschaft verursacht Klimaschäden von 77 Milliarden Euro, Nachricht vom 18.09.2019