So hoch war der Pestizideinsatz im Südtiroler Vinschgau 2017

Bericht von Fabian Holzheid, Politischer Geschäftsführer/ Umweltinstitut München

Landwirtschaftliche Betriebe müssen in der EU genau dokumentieren, welche Pestizide sie wann und wo in welchen Mengen ausbringen. Doch normalerweise werden diese Angaben weder ausgewertet noch öffentlich zugänglich gemacht. Zum ersten Mal überhaupt konnte das Umweltinstitut nun hunderte Spritzhefte von Obstbetrieben aus dem Südtiroler Vinschgau
unter die Lupe nehmen – eine europaweit wegweisende Untersuchung. Nach monatelanger Arbeit stellen wir heute einen Bericht mit den Ergebnissen unserer Auswertung vor, der ein genaues Bild der Verwendung von Pestiziden in einer der wichtigsten Anbauregionen für Äpfel
in ganz Europa zeichnet. Die alarmierenden Ergebnisse finden Sie auf unserer Website.

Dass wir an die Spritzhefte gekommen sind, ist ironischerweise dem Versuch der Südtiroler Landesregierung und der dortigen Apfelindustrie geschuldet, unsere Kritik am hohen Pestizideinsatz in der Region durch eine Strafanzeige zum Schweigen zu bringen. Doch das ging kräftig nach hinten los. Denn der Prozess wegen angeblicher „übler Nachrede“ endete für uns nicht nur mit einem Freispruch, sondern führte auch zur  Beschlagnahmung der Spritzdaten als Beweismittel.

Die Auswertung der Spritzdaten bietet einen brisanten Einblick in die landwirtschaftliche Praxis im intensiven Obstbau: Insgesamt wurden mehr als 80 unterschiedliche Pestizidwirkstoffe verwendet, von denen etliche als besonders gefährlich für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt gelten. Zu den besonders häufig eingesetzten Substanzen gehörte etwa das Fungizid Fluazinam, das unter anderem vermutlich krebserregend und fruchtbarkeitsschädigend ist. Auch Stoffe, die für Honigbienen oder Wasserorganismen gefährlich sind, kamen zum Einsatz.
Und damit nicht genug: Von März bis September 2017 gab es im Vinschgau, einer beliebten Urlaubsregion, keinen einzigen Tag, an dem Mensch und Umwelt nicht dem Pestizidnebel ausgesetzt waren. Oft kommen die Gifte zudem als „Cocktail“ mehrerer Substanzen zum Einsatz – bis zu neun verschiedene Wirkstoffe wurden am gleichen Tag angewendet.

Der Preis, den die Menschen und die Umwelt im Vinschgau für die Massenproduktion von Äpfeln zahlen, ist hoch. Denn der kontinuierliche Einsatz von Pestiziden in den Apfelplantagen schädigt die Artenvielfalt und gefährdet die Gesundheit von Anwohner:innen und Urlaubsgästen, und nicht zuletzt die der Obstbäuer:innen selbst. Das muss sich endlich ändern!
In unserem Bericht geben wir deshalb auch Empfehlungen, was sich in der Landwirtschaft in Südtirol, aber auch in Europa insgesamt tun muss, damit sie sich endlich aus der Abhängigkeit von Ackergiften befreien kann.
Eine ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse unseres Berichts und unserer Forderungen lesen Sie auf unserer Homepage. Website: www.umweltinstitut.org, info@umweltinstitut.org
Quelle: Zuschrift vom 25.0.2023

Pestizide belasten Schutzgebiete – Untersuchung in Brandenburg

Untersuchung des Umweltinstituts München

Ackergifte verbreiten sich unkontrolliert durch die Luft und landen dadurch auch in besonders streng geschützten Lebensräumen. Dies zeigt unser neuer Bericht zu Pestiziden in der Brandenburger Luft. Für die Untersuchung haben wir ein Jahr lang an vier Standorten in und um
das Brandenburger Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin Luftproben genommen und sie auf Pestizidrückstände hin analysiert. Die Ergebnisse zeigen: je näher ein Standort an intensiv bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen gelegen ist, desto stärker ist die Pestizid-
Belastung. Doch selbst inmitten der Kernzone des Biosphärenreservats, wo die Natur sich möglichst unbeeinflusst entwickeln und vor jedem Eingriff durch den Menschen geschützt sein sollte, konnten wir Pestizide in der Luft nachweisen.

Besonders bedenklich: zwei Wirkstoffe, die das Grundwasser gefährden, wurden an allen Standorten nachgewiesen. Zudem sind vier von neun nachgewiesenen Pestizidwirkstoffen so gefährlich, dass die EU sie durch weniger riskante Stoffe ersetzen möchte. Ein weiterer Wirkstoff, den wir nachweisen konnten, gilt als vermutlich krebserregend.

Wie lange manche Stoffe in der Natur verbleiben, zeigen die Funde des längst verbotenen
Insektengifts DDT. DDT haben wir an zwei Standorten gefunden – und das fast 30 Jahre nach dem endgültigen Verbot des extrem schädlichen Insektizids in der ehemaligen DDR.

Angesichts des immer noch dramatischen Insektensterbens ist es von großer Bedeutung, dass geschützte Gebiete nicht sicher vor dem Eintrag von Pestiziden sind. Denn Ackergifte tragen maßgeblich zum Artenschwund bei. Wir fordern deshalb die Politik auf, Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Schutz zu gewährleisten: Das Ausbringen von Pestiziden in Schutzgebieten muss sofort verboten werden, und es müssen rund um sensible Gebiete herum Pufferzonen eingerichtet werden! Langfristig wird der Erhalt der Artenvielfalt aber nur mit einem Ausstieg aus der Anwendung chemisch-synthetischer Pestizide gelingen.

Den Untersuchungsbericht und unsere aktuelle Meldung mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse finden Sie auf unserer Homepage.
Quelle: Sophia Guttenberger, Referentin für Landwirtschaft im Umweltinstitut München e.V.,
www.umweltinstitut.org, Newsletter vom 10.06.2022