Die ersten Erfolge biologisch-dynamischer Landwirtschaft

Ernst Stegemann (1882–1943) war der erste biologisch-dynamische Landwirt. Er war Anthroposoph mit einem 150 Hektar großen Mischbetrieb in Marienstein, auf halbem Weg zwischen Frankfurt und Hamburg. Stegemann besuchte im Juni 1924 den Landwirtschaftskurs in Koberwitz (heute Kobierzyce, Polen), bei dem Dr. Rudolf Steiner (1861–1925) die historischen Grundlagen für den biologisch-dynamischen und ökologischen Landbau legte. Stegemann war Gründungsmitglied des Experimentierkreises anthroposophischer Bauern und Gärtner, der von Steiner während des Koberwitz-Kurses gegründet wurde. Im Vorfeld des Kurses gab Steiner Stegemann erste Einblicke in die landwirtschaftliche Praxis. Steiners Auftrag an die Bauern und Gärtner des Experimentierkreises lautete, seine „Hinweise“ für eine neue und damals noch namenlose Landwirtschaft zu erproben, festzustellen, was funktioniert, und dann die Ergebnisse zu veröffentlichen und damit die „Ära der Geheimhaltung“ zu beenden. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten die Mitglieder des Zirkels die Vertraulichkeit des Kurses und der Experimente wahren. Die vorliegende Arbeit enthüllt einige der frühesten Ergebnisse der Probe von Steiners Indikationen. Bei Stegemann steigt der Jahresertrag der Zuckerrüben über acht Jahre mit Hilfe der Biodynamik um bis zu 26 % (gegenüber dem Basisjahr 1923). Der Jahresertrag für „Getreide“ steigt mit Hilfe der Biodynamik um bis zu 42% (im Vergleich zum Basisjahr 1923). Stegemanns Längsertragsdaten wurden im Juni 1931 den Mitgliedern des Experimentierkreises unter Geheimhaltung auf seinem Hof in Marienstein (damals Provinz Hannover; heute Niedersachsen) vorgelegt und scheinen nun von diesen Zwängen der Vertraulichkeit befreit zu sein.

Quelle: Paull, J. (2023). Erträge der biologisch-dynamischen Landwirtschaft von Ernst Stegemann (1882-1943): Versuchskreisdaten des ersten biologisch-dynamischen Landwirts. Europäische Zeitschrift für Agrar- und Lebensmittelwissenschaften, 5(5), 1–4. https://doi.org/10.24018/ejfood.2023.5.5.699

100 Jahre Nationalökonomischer Kurs Rudolf Steiners

Wirtschaft – Was ist es dir wert? Beitrag von Helmut Woll, Auszug

Assoziationen
Steiner hat den Begriff der Assoziationen zentral für die Ökonomie eingeführt. Sie sollen die Vernunft in den ökonomischen Prozess hineintragen. Der Liberalismus sieht im Marktprozess einen objektiven und anonymen Beurteilungsmechanismus für die Preise. Der Einzelne kann sie
nicht manipulieren. Die Assoziationen von Steiner sind das Gegenteil von anonymem Marktprozess oder zerstörerischem Wertgesetz. Die Mitglieder der Wirtschaft selbst sollen in jeden Tauschakt Vernunft und Gerechtigkeit hineinbringen. Insofern ist die Assoziation auch eine Erziehungsinstanz. Die Beteiligten müssen ihre Egoismen und Eitelkeiten unterdrücken und
sich bemühen, fachliche ökonomische Urteile zu fällen.
Ausgangsfrage ist für Steiner die Frage: Was ist der richtige (gerechte) Preis? Liberalismus und Marxismus kennen diese Gerechtigkeitsfrage aus dem Mittelalter nicht mehr. Der Preis soll nach Steiner so hoch sein, dass die Arbeitenden für sich und ihre Angehörigen in Zukunft ein neues
Produkt erstellen können. Diese Formel ist für Steiner erschöpfend, da sie alle Informationen in sich trägt. Aber wie man diese Formel realisiert, ist Aufgabe der Beteiligten. Die Bezahlung der Arbeit für die Zukunft ist ganz wesentlich in dieser Formel enthalten. Wirtschaften besteht darin,
dass man die künftigen Prozesse mit dem, was vergangen ist, ins Werk setzt: Natur-Arbeit- Kapital oder Natur-Arbeit-Geist.

Preise finden
Die herkömmliche Ökonomie kennt nur eine Preisformel. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Steiner plädiert auch hier für eine differenzierte Betrachtungsweise und weist drei Gleichungen nach. Nach Smith regelt sich der Preis von selbst durch Angebot und Nachfrage. In
der Wirklichkeit hat man nach Steiner nichts in der Hand mit diesen Begriffen. Dagegen braucht man bewegliche Begriffe. Angebot an Ware ist Nachfrage nach Geld. Angebot an Geld ist Nachfrage nach Waren. Es gibt drei Preisformeln, aber auch drei Geldbegriffe: Kaufgeld, Leihgeld und Schenkungsgeld. Welches Geld ist am produktivsten? Für Steiner ist klar, dass das Schenkungsgeld am produktivsten ist, da der menschliche Geist ständig Erfindungen und neue Verfahren kreiert.
Die Bearbeitung von Grund und Boden ist nach Steiner die Voraussetzung des Wirtschaftens. Die Geistesarbeitenden leben von den Handarbeitenden. Wie bewerten wir die Geistesarbeit? Der Wert der geistigen Arbeit ist so groß, wie sie körperliche Arbeit erspart. Es geht um eine funktionierende Arbeitsteilung, um gerechte Preise und ein Geld, das seiner Mystifikation
beraubt ist. Geld als ein rein rechnerisches Problem zu betrachten, kann man als Gegenthese zur marxistischen Geldauffassung ansehen. Für Marx ist Geld eine verhexte Ware. Der Geldschleier wird enttarnt, wenn man einsieht, dass er die Ausbeutungsverhältnisse verschleiern soll. Bei Steiner fällt der Geldfetisch, wenn man hinter die verschiedenen Preisformeln schaut.

Bewusste Gestaltung
Steiner knüpft an die freiheitlichen Ideen des Liberalismus an, reaktiviert den Organismusbegriff der Romantik, adelt die Land- und Handarbeit und sieht in den geistigen Leistungen der Menschen die Inspirationsquelle für die Wirtschaft und das Leben insgesamt. Das freie Geistesleben meint mehr als den Liberalismus mit seiner Wirtschafts- und Meinungsfreiheit. Es
ist das Plädoyer für eine neue wissenschaftliche Methode, die die Dinge auf allen Ebenen im wahren Sinn zutage fördert. Die Vorträge zur Nationalökonomie sollen ein Beleg sein für eine neue Geisteswissenschaft, die sich um die elementaren Dinge des Lebens wie Arbeit, Wert,
Lohn, Zins und Eigentum kümmert.

Quelle: www.dreigliederung.de/essays/2022-05-helmut-woll-wirtschaft-was-ist-es-dir-wert

„Die Landwirtschaft trägt alles“

Beitrag von Engelhard Troll, Leitartikel „Landwirtschaftlicher Kurs und Demeter-Verbandsarbeit“, Ausschnitte

Zugegebenermaßen bringen Assoziationen Probleme mit Kartellvorschriften. Trotzdem, der heutige Verband stellt eigentlich den gesellschaftlich relevanten Bereich des Marktes mit den dafür notwendigen Vorschriften, Strukturen und Gestaltungen dar, und dieser Bereich ist sehr dominant. Stichworte Qualitätssicherung, Richtlinien, Markenschutz, Mitgliederaufnahme.

Die Reihe von Ideen, Initiativen, Modellen und Organisationen, in diese Richtung eine Gestaltung zu bringen, sprechen von einer geistigen Wirkmacht, die ankommen will und nicht richtig ankommen kann. Ganz am Anfang stand der Ansatz von Max-Karl Schwarz der Kulturstätten auf dem Lande, umfassende ländliche Gemeinschaften wie Inseln (im heraufziehenden Vernichtungssturm der Nazis). Das betont die überragende Rolle der Kultur, die Steiner nach dem Zusammenbruch der mitteleuropäischen Dynastien mit „Kulturräten“ neu begründen wollte. (siehe unten) Vieles erscheint vor diesem großen Bild der Assoziation als Partnerin der biodynamischen Landwirtschaft heute als „Ausweichbewegung“, wie Direktvermarktung, Abo-Kisten, SoLaWis, viele Runde Tische, Demeter-Verbraucher-Vereine.

Es gab Initiativen wie den Wirtschaftskreis an der Landwirtschaftlichen Sektion, das von Christof Simpfendörfer vorangetriebene Projekt „Gerechtes Wirtschaften“ und damit verbunden, die Entwicklung der Hofgespräche als Wahrnehmungsmöglichkeit der Bemühungen der Praktiker, der spirituellen Inhalte des Kurses und der gestalterischen Freiheit des Landwirts adäquat gerecht zu werden.

Vom intellektuellen zum lebendigen Denken

Steiner scheiterte mit seinen Wirtschaftsreformen, den Pilotprojekten „Kommender Tag“ und „Futurum“, nicht wegen organisatorischer Mängel, sondern wegen der mangelnden Beteiligung der Mitglieder und deren starren Denkens, das auf die eigenen Positionen fixiert ist. Diese Fixierung war vor 100 Jahren schon so stark ausgeprägt, dass Steiner von einer einmal möglichen „Impfung“ gegen Halsstarrigkeit sprach. Heute, in einer durch und durch intellektuellen Zeit stehen wir vor der Digitalisierung unseres Denkens, da gibt es nur 1 oder 0. Dazwischen: Nichts.

Assoziationen also brauchen eine Konsenskultur, eine Kultur der Einvernehmlichkeit, die nur mit „lebendigem Denken“ erreichbar ist. Zu einer wirksamen Assoziation gehört schließlich als Ergebnis dieser verlebendigten Denkarbeit, dass sich praktischer Gemeinsinn ausbilden kann, der die ganze Gemeinschaft wie eine (Engels-)Wesenheit durchwirkt.

Stephan Eisenhut führt hierzu aus in seiner neuesten Veröffentlichung in „Die Drei“, Heft 5/21, Seite 42. Der Aufsatz trägt den Titel „Rudolf Steiners Kampf gegen die Auslöschung des Geisteslebens“ und „Die Aufgabe der Kulturräte“. „Ein Austausch zwischen Menschen, die in ihrem leibgebundenen, mechanischen Denken verhaftet bleiben, kann höchstens im Hinblick auf ganz äußerliche, dem materiellen Leben dienenden Fragen gelingen, aber nicht, wenn es um geistige Erneuerung geht. Ebenso wird der Austausch stark gehemmt, wenn nur ein Einziger sich auf den Weg gemacht hat, sein Denken zu verlebendigen, und die Anderen entweder auf ihren Positionen beharren oder nur scheinbar in die Gedanken des anderen eintauchen. Wie oft kommt es vor, dass bloß die eigenen Vorstellungen in die Aussagen des Anderen hineingelegt werden! Es müssen schon zwei oder mehr im Namen des verlebendigten Denkens zusammenkommen. Erst dann werden sie die Verjüngungskraft des christlichen Geistes erleben, die ein neues Geistesleben erschafft.“ So erkennen wir, dass die Erübung „lebendigen Denkens“ durchaus in unsere tägliche Routine der Arbeitsgruppen, Gremien, Facharbeitsgruppen, Einführungskurse geholt werden sollte. Denn sonst bleiben unsere zahlreichen Bemühungen um neue Ansätze, z. B. in der Vertriebsstrategie, wer wieviel spenden muss, usw., lediglich isolierte Bausteine, Versatzstücke, Bruchstücke der ganz großen Idee.

Quelle: Demeter Bayern | Rundbrief Nr. 153, Dezember 2021