100 Jahre biologisch-dynamische Landwirtschaft

Wesentliche Elemente der biologisch-dynamischen Landbaumethode
zusammengestellt von Wolfgang Ritter

Auf Einladung von Johanna Gräfin und Karl Graf von Keyserlingk hielt Rudolf Steiner zu
Pfingsten 1924 acht Vorträge mit anschließender Aussprache auf dem Gut Koberwitz bei Breslau. Die etwa 100 Teilnehmer wollten die „geisteswissenschaftlichen Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft“ kennenlernen. Das, was Rudolf Steiner ihnen vortrug, legte den Grund zur heutigen Bio-Bewegung. Einzelne Persönlichkeiten, Forschungsgemeinschaften und viele Höfe forschten und experimentierten nach dem Landwirtschaftlichen Kurs in Koberwitz
selbständig. (Rudolf Steiner konnte man nicht mehr fragen, denn er starb schon ein Jahr
danach.) Auf diese Weise entwickelte sich seit 1924 parallel zum Ausbau der Landwirtschaft
zur Agro-Industrie mit Einsatz von Kunstdüngern, Pestiziden und genverändertem Saatgut zunächst die biologisch-dynamische Landbaumethode und später, als die ersten Erfolge sichtbar wurden, die Öko-Bewegung. Mehrere Anbauverbände entstanden mit jeweils leicht unterschiedlichen Richtlinien. Alle Bio-Verbände und Bio-Betriebe lehnen den Einsatz
chemischer Dünger und Pestizide ab.

Im biologisch-dynamischen Landbau wird der landwirtschaftliche Betrieb als Organismus
verstanden, der weitgehend aus sich selbst heraus leben und wirtschaften kann, so dass
wenige Roh- und Hilfsstoffe von außen beschafft werden müssen. Pflanzenabfälle und Tiermist, gerne von Wiederkäuern, werden zu Kompost verarbeitet und dienen als Dünger. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Aufbau eines gesunden Bodens gewidmet. Der Vorgang der Humusbildung im Boden wird durch das Präparat 500 (Hornmist) unterstützt. Wenn eine
Spritzbrühe aus dem Präparat 500 mehrfach zur Pflanz- bzw. Aussaatzeit ausgebracht wird,
fördert das die Humusbildung. Für manche Kulturen sind keine anderen Düngergaben
notwendig. Auch in Betrieben, in denen nicht auf Dung zurückgegriffen werden kann oder eine Kompostbildung unmöglich ist, gelingt auf diese Weise der Humusaufbau im Boden. Die
Fruchtbildung wird durch das mehrfache Ausbringen einer Spritzbrühe mit dem Präparat 501 (Hornkiesel) auf die Kulturen vor der Ernte gefördert. Die Präparate 502 bis 507 (Brennnessel, Löwenzahn, Schafgarbe, Kamille, Baldrian, Eichenrinde) sind weitere Präparate, die für ein gesundes Pflanzenwachstum eingesetzt werden.

Durch jahrzehntelanges Forschen und Experimentieren hat man herausgefunden, wie man die kosmischen Rhythmen ertragfördernd im Land- und Gartenbau beachten kann. Ein großes Verdienst in der praktischen Erprobung und Publikation der Ergebnisse kommt der Familie Thun zu; seit 50 Jahren wird die Broschüre „Maria Thun Aussaattage“ herausgegeben.

Man beachtet für Aussaat/ Pflanzung und Ernte nicht die Mondphasen (die auf der Erde sichtbare Belichtung des Mondes durch die Sonne), wie oft fälschlich berichtet wird, sondern den durch die Tierkreiszeichen aufsteigenden und absteigenden Mond innerhalb seines Zyklus‘ von 28 Tagen. Der Aufstieg des Mondes bewirkt einen stärkeren Saftanstieg in den Pflanzen: gut für die Ernte; Lagerobst bleibt zum Beispiel länger frisch und saftig. Saatgut/ Wurzeln von Jungpflanzen verbinden sich während des absteigenden Mondes besser mit der Erde. Die Sternbilder ordnet man seit alters her den vier Elementen Erde (Steinbock, Stier, Jungfrau), Wasser (Fische, Krebs, Skorpion), Luft (Wassermann, Zwillinge, Waage), Feuer (Widder, Löwe, Schütze) zu. Die Forschung zeigt, dass die Erträge gesteigert werden können, wenn man bei Aussaat und Pflegemaßnahmen auf die Stellung des Mondes vor einem entsprechenden Sternbild achtet. Beispiel: Wurzelgemüse (Sellerie, Möhren Rote Beete) werden dann ausgebracht, gepflegt und geerntet, wenn der Mond vor einem Erdzeichen, Blattgemüse (Salat, Spinat, Kresse), wenn er vor einem Wasserzeichen steht. Will man die Blüten oder die Früchte ernten, achtet man auf Tage an denen der Mond vor Luft- bzw.
Feuerzeichen steht.

Forschung in Ägypten

Sekem-Vision (SVG 5)/ Agrikultur: Ägypten 2057

Die Bauern Ägyptens arbeiten in der Hauptausrichtung der Agrikultur nachhaltig, mit biologisch-dynamischen oder biologischen Methoden. Bei der Realisierung dieses Visionsziels befinden wir uns mit einigen Projekten bereits in der Phase, in der wir landesweite Relevanz erreichen und sich ein wirklicher Wandel einstellen kann. Wir können belegen, dass die biologische, insbesondere die biologisch-dynamische Agrikultur Lösungen für viele große Umwelt-Herausforderungen der heutigen Zeit und der Zukunft bietet. So zeigt etwa die von Sekem und der Heliopolis Universität durchgeführte fortlaufende Studie The Future of Agriculture in Egypt, anhand der sogenannten „True Cost Accounting“-Methode, für die fünf wichtigsten ägyptischen Nutzpflanzen (Baumwolle, Mais, Kartoffeln, Reis und Weizen), dass der Bio-Anbau bereits heute volkswirtschaftlich kostengünstiger ist, als der konventionelle.

Dazu wurden zum Beispiel Faktoren wie die Verschmutzung von Böden, Luft oder Wasser berücksichtigt, die früher oder später zu hohen Kosten führen. Mit Forschungsansätzen wie diesem arbeiten wir daran, Aufmerksamkeit für die Vorteile von nachhaltiger Agrikultur auf verschiedenen Ebenen zu schaffen, so dass sowohl die Politik, als auch die Zivilbevölkerung sich ihrer Entscheidungen im Hinblick auf Lebensmittelproduktion und -konsum bewusster werden können. Dazu rufen wir Entscheidungsträger konkret auf. Denn wir sind überzeugt, dass solche Forschungsansätze immer deutlicher die Realität der Zukunft abbilden können und dadurch eine frühzeitige Veränderung eintreten wird.

Außerdem forschen wir mit unterschiedlichen Methoden zur Sichtbarmachung der Qualität und Vitalität von biologischen und biologisch-dynamischen Lebensmitteln (siehe auch Inspiration: Sichtbarmachung von Vitalität, Seite ..). Dazu etablieren wir an der Heliopolis Universität ein eigenes Labor, sodass die Studierenden und wissenschaftlichen ForscherInnen unsere Vision in Ägypten ebenfalls voranbringen können. So sollen immer mehr Menschen die Vorteile von biologischen Lebensmitteln sehen und verstehen, um dann gezielter konsumieren zu können.

In dem Zusammenhang sei auch die erste Fakultät Ägyptens für Bio-Landbau genannt, die 2018 an der Heliopolis Universität eröffnet wurde. In einem dualen Studienkonzept lernen hier junge Studierende die wissenschaftliche Theorie an der Universität und haben ausgiebige Praxisphasen während derer sie die Anwendung und Umsetzung der langjährigen Erfahrung Sekems direkt auf den Farmen lernen und erleben.
Etliche Kurse werden in Kooperation und Vernetzung durchgeführt, beispielsweise mit der landwirtschaftlichen Sektion des Goetheanums in Dornach. So hoffen wir, dass die Lehre unserer Fakultät zu einem Vorzeigemodell wird, dass sich immer weiter multipliziert.

Ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Heliopolis Universität und mit internationalen Partnern arbeiten wir an Förderprojekten zur Unterstützung des Bio-Sektors in Ägypten und weiteren afrikanischen Ländern. Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Knowledge Hub for Organic Agriculture in North Africa“ . Hier wird in Kooperation mit Partnern in Tunesien und Marokko, sowie weiteren afrikanischen Staaten, Wissen zum Thema Öko-Landbau gesammelt, aufbereitet und weitläufig verfügbar gestellt.

Ein wichtiges Thema im Hinblick auf eine flächendeckende Bio-Agrikultur Ägyptens ist das Saatgut. Wir züchten vermehrt eigene biologisch-dynamische Samen und machen diese auf dem ägyptischen Markt frei verfügbar. Dabei forschen wir besonders nach Sorten, die sich für Nordafrika und den Mittelmeerraum eignen. Diese werden von Sekem-Bauern getestet, bevor sie auf den Markt kommen. Auch für HobbygärtnerInnen, die Urban-Gardening-Projekte auf den Dächern Kairos umsetzen, wird Sekem-Saatgut angeboten. Ziel ist es, eine Vielfalt an sortenfesten Samen anzubieten und damit Alternativen zu den wenigen großen multinationalen Konzernen aufzubauen, die den Saatgut-Markt und damit die weltweite Lebensmittelproduktion immer stärker mit patentiertem Hybridsaatgut monopolisieren.

Quelle: Helmy Abouleish mit Christine Arlt: SEKEM, Inspirationen – Impulse für einen zukünftigen Wandel,
ISBN 978-5-95779-165-8, Frankfurt am Main 2022