Wirtschaft der Liebe

Dr. Christoph Pinkwart/ Wolfgang Ritter

Interview mit Dr. Christoph Pinkwart zu einer Studienreise zur SEKEM-Farm in Ägypten im Oktober 2023

SEKEM in Ägypten gehört wohl zu den größten, erfolgreichsten und weltweit aktiven Unternehmen, die die Idee der Dreigliederung Rudolf Steiners verwirklichen und eine assoziative Zusammenarbeit pflegen. Seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die verschiedenen Unternehmensbereiche aufgebaut – auch mit Spenden von Unterstützervereinen in Europa: biologisch-dynamische Landwirtschaft, Agrarerzeugnisse verarbeitende Betriebe, medizinisches Zentrum, Bildungseinrichtungen, Akademie, Universität. Man arbeitete mit Bauern aus ganz Ägypten zusammen und unterstützt die Wüstendörfer in der Umgebung. Ich habe die Initiative mehrmals besucht, ihren Initiator, Dr. Ibrahim Abouleish, und seinen Sohn, Helmy Abouleish, mehrmals zu Vorträgen nach Nürnberg eingeladen und in Vorträgen und Büchern (Initiativen, die die Welt verändern, Wirtschaft der Liebe, beide Möllmann Verlag) darüber berichtet. Im Oktober 2023 hat mein Freund, Dr. Christoph Pinkwart, an einer Studienreise zur SEKEM-Farm teilgenommen. Ich habe ihn interviewt.

Wie kamst du darauf, diese Reise zu unternehmen?

Seit einem Auslandspraktikum als Student 1976 in einer Ölraffinerie in Ägypten interessiere ich mich für dieses Land und seine Entwicklung. Nachdem Ibrahim Abouleish seine Initiative SEKEM in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgestellt hatte, wurde ich Mitglied im Förderverein „SEKEM Freunde Deutschland“ und besuchte vor 18 Jahren die SEKEM-Farm zu einem Islam-Seminar, das Ibrahim Abouleish seinerzeit gab. Der Gründer Dr. Ibrahim Abouleish beschreibt in seinem Buch, die SEKEM-Symphonie  (Info 3 Verlag, Neuauflage 2015): „In der flirrenden Sommerhitze tauchte in meinem Inneren eine Vision auf: Ein Brunnen, Bäume, Pflanzengrün und Blütenduft, Tiere, Komposthaufen, Häuser und arbeitende Menschen. Wieviel Kraft würde aufgebracht werden müssen, um eine solch unwegsame, schwierige Umgebung zu verändern und diese Öde in einen Garten zu verwandeln!“ Vor 18 Jahren konnte ich mich davon überzeugen, dass diese Vision in vollem Umfang aufgegangen ist.

Warst du auf der SEKEM-Farm bei Kairo? Was hast du erlebt?

Dass in der SEKEM-Farm in Kairo unser aller Ziel „Wirtschaft der Liebe“ bereits im großen Maßstab umgesetzt ist: Der Zukunftsrat der SEKEM-Farm hat sich vorgenommen, nach dem Prinzip „Wirtschaft der Liebe“ zu handeln, eine Geschäftsethik, die SEKEM mitentwickelt hat, und die mit den internationalen Fairtrade-Werten verglichen werden kann. Das betrifft die Wertschöpfungskette vom Bauern über die Veredelung und den Handel bis zum Verbraucher. Konzentrieren wir uns jetzt auf die Bauern: Die mit SEKEM zusammenarbeitenden Bauern arbeiten bio-dynamisch, so dass ihre Produkte Demeter-zertifiziert sind. Sie erhalten stabile Verträge und Preise für ihre Produkte, wodurch ein sicheres Einkommen für ihre Familien garantiert ist, und durch das sie besser planen und expandieren können. Außerdem bietet SEKEM den Vertragsbauern regelmäßige Schulungen, Fortbildungen und kulturelle Aktivitäten an, wie Alphabetisierungskurse oder Workshops, in denen neue landwirtschaftliche Methoden vorgestellt werden. Die Landwirte und SEKEM profitieren von einer Win-Win-Situation, die auf Brüderlichkeit und Kooperation basiert, anstatt auf Konkurrenz und Egoismus.

Es gibt doch eine weitere Farmgründung irgendwo mitten in der Wüste. Konntest du die auch besuchen?

Nachdem die Farm räumlich an ihre Grenzen kam, wurde vor einigen Jahren in der Wahat Oase Baharyia eine Tochterfarm gegründet. Dazu fuhren wir von Kairo in süd-westliche Richtung komplette 370 km durch Wüste und erlebten dort eine Farm, die die Gründungsfarm spiegelt, wie diese im Alter von 10 Jahren ausgesehen haben mag. Es ist sehr beeindruckend zu sehen, wie hier wieder fruchtbares Ackerland der Wüste abgerungen wird, diesmal aber in noch wesentlich größerem Maßstabe.

Gibt es Zukunftspläne?

Die „Wirtschaft der Liebe“ soll nun gemäß SEKEMs Nachhaltigkeitsstrategie in detailliert beschriebenen Schritten weiterentwickelt werden. So wurde im Jahr 2022 erreicht, dass die Anzahl der mit SEKEM zusammenarbeitenden bäuerlichen Betriebe von rund 700 auf etwa 2000 erhöht werden konnte. Dies gelingt durch die oben beschriebene Fortbildung in Kombination mit finanzieller Unterstützung. So werden den Bauern z.B. Kredite gegeben für Solaranlagen und Wasserpumpen, die für nachhaltiges Wirtschaften notwendig sind. Da sich die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise durch Einbindung in CO2-Zertifikate für die Vertragsbauern auch finanziell rechnet, ist dies ein Erfolgsprogramm. Es ist beabsichtigt, bis 2025  38.000 neue Kleinbauern aufzunehmen. So bleibt davon zu träumen, dass sich die „Wirtschaft der Liebe“ eines Tages in ganz Ägypten oder sogar auch bei uns ausbreiten wird!

Das klingt phantastisch: 38.000 neue Kleinbauern. Arbeiten die dann alle biodynamisch?  Wird es so sein, dass sie alle ihre Felderträge den SEKEM-Betrieben zuliefern werden?

Wie gesagt wachsen diese Kleinbauern hochmotiviert in die biodynamische Landwirtschaft hinein, und ihre Felderträge werden direkt über die SEKEM-Verbindungen an die örtliche Umgebung verkauft oder über die SEKEM-Betriebe veredelt.

Abschließend noch eine Frage zu den CO2-Zertifikaten: Wer kauft sie?

Jeder kann sie erwerben, besonders als Ausgleich für die Umweltbelastung, wenn man z.B. nach Ägypten fliegt. Hier kann man sie kaufen: https://shop.sekem.com/products/1-tonne-co2-kompensation-co2-zertifikat

Forschung in Ägypten

Sekem-Vision (SVG 5)/ Agrikultur: Ägypten 2057

Die Bauern Ägyptens arbeiten in der Hauptausrichtung der Agrikultur nachhaltig, mit biologisch-dynamischen oder biologischen Methoden. Bei der Realisierung dieses Visionsziels befinden wir uns mit einigen Projekten bereits in der Phase, in der wir landesweite Relevanz erreichen und sich ein wirklicher Wandel einstellen kann. Wir können belegen, dass die biologische, insbesondere die biologisch-dynamische Agrikultur Lösungen für viele große Umwelt-Herausforderungen der heutigen Zeit und der Zukunft bietet. So zeigt etwa die von Sekem und der Heliopolis Universität durchgeführte fortlaufende Studie The Future of Agriculture in Egypt, anhand der sogenannten „True Cost Accounting“-Methode, für die fünf wichtigsten ägyptischen Nutzpflanzen (Baumwolle, Mais, Kartoffeln, Reis und Weizen), dass der Bio-Anbau bereits heute volkswirtschaftlich kostengünstiger ist, als der konventionelle.

Dazu wurden zum Beispiel Faktoren wie die Verschmutzung von Böden, Luft oder Wasser berücksichtigt, die früher oder später zu hohen Kosten führen. Mit Forschungsansätzen wie diesem arbeiten wir daran, Aufmerksamkeit für die Vorteile von nachhaltiger Agrikultur auf verschiedenen Ebenen zu schaffen, so dass sowohl die Politik, als auch die Zivilbevölkerung sich ihrer Entscheidungen im Hinblick auf Lebensmittelproduktion und -konsum bewusster werden können. Dazu rufen wir Entscheidungsträger konkret auf. Denn wir sind überzeugt, dass solche Forschungsansätze immer deutlicher die Realität der Zukunft abbilden können und dadurch eine frühzeitige Veränderung eintreten wird.

Außerdem forschen wir mit unterschiedlichen Methoden zur Sichtbarmachung der Qualität und Vitalität von biologischen und biologisch-dynamischen Lebensmitteln (siehe auch Inspiration: Sichtbarmachung von Vitalität, Seite ..). Dazu etablieren wir an der Heliopolis Universität ein eigenes Labor, sodass die Studierenden und wissenschaftlichen ForscherInnen unsere Vision in Ägypten ebenfalls voranbringen können. So sollen immer mehr Menschen die Vorteile von biologischen Lebensmitteln sehen und verstehen, um dann gezielter konsumieren zu können.

In dem Zusammenhang sei auch die erste Fakultät Ägyptens für Bio-Landbau genannt, die 2018 an der Heliopolis Universität eröffnet wurde. In einem dualen Studienkonzept lernen hier junge Studierende die wissenschaftliche Theorie an der Universität und haben ausgiebige Praxisphasen während derer sie die Anwendung und Umsetzung der langjährigen Erfahrung Sekems direkt auf den Farmen lernen und erleben.
Etliche Kurse werden in Kooperation und Vernetzung durchgeführt, beispielsweise mit der landwirtschaftlichen Sektion des Goetheanums in Dornach. So hoffen wir, dass die Lehre unserer Fakultät zu einem Vorzeigemodell wird, dass sich immer weiter multipliziert.

Ebenfalls in Zusammenarbeit mit der Heliopolis Universität und mit internationalen Partnern arbeiten wir an Förderprojekten zur Unterstützung des Bio-Sektors in Ägypten und weiteren afrikanischen Ländern. Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Knowledge Hub for Organic Agriculture in North Africa“ . Hier wird in Kooperation mit Partnern in Tunesien und Marokko, sowie weiteren afrikanischen Staaten, Wissen zum Thema Öko-Landbau gesammelt, aufbereitet und weitläufig verfügbar gestellt.

Ein wichtiges Thema im Hinblick auf eine flächendeckende Bio-Agrikultur Ägyptens ist das Saatgut. Wir züchten vermehrt eigene biologisch-dynamische Samen und machen diese auf dem ägyptischen Markt frei verfügbar. Dabei forschen wir besonders nach Sorten, die sich für Nordafrika und den Mittelmeerraum eignen. Diese werden von Sekem-Bauern getestet, bevor sie auf den Markt kommen. Auch für HobbygärtnerInnen, die Urban-Gardening-Projekte auf den Dächern Kairos umsetzen, wird Sekem-Saatgut angeboten. Ziel ist es, eine Vielfalt an sortenfesten Samen anzubieten und damit Alternativen zu den wenigen großen multinationalen Konzernen aufzubauen, die den Saatgut-Markt und damit die weltweite Lebensmittelproduktion immer stärker mit patentiertem Hybridsaatgut monopolisieren.

Quelle: Helmy Abouleish mit Christine Arlt: SEKEM, Inspirationen – Impulse für einen zukünftigen Wandel,
ISBN 978-5-95779-165-8, Frankfurt am Main 2022

Sekem – Vision (SVG 11): Wirtschaft der Liebe

Ägypten 2057: Die Unternehmen in Ägypten arbeiten auf der Grundlage eines Wirtschaft der Liebe-Standards, der transparent ist und die tatsächlichen Kosten berücksichtigt!

Wenngleich wir berichtet haben wie wir bereits vor Jahrzehnten begonnen haben, eine Wirtschaft der Liebe umzusetzen und diese in vielen Bereichen längst praktizieren, handelt es sich bei dem Anliegen die komplette Wertschöpfung und alle daran Beteiligten sichtbar zu machen und gleichberechtigt zu fördern, um eine Jahrhundertaufgabe. Wir wollen diese bis 2057 gezielt voranbringen und systemrelevant machen. Dazu haben wir gemeinsam mit lokalen und internationalen Kontrollstellen Standards zur Zertifizierung der Wirtschaft der Liebe: „Economy of Love“ (EoL) entwickelt.

Demeter- oder Fairtrade-Standards gelten bei der EoL-Zertifizierung als Mindestvoraussetzungen. Denn in der Wirtschaft der Liebe werden nicht nur die Bauern oder die Händler berücksichtigt, die das Roh- und Verpackungsmaterial für ein Produkt liefern, sondern auch der Waldarbeiter, der den Baum für das Papier fällt, aus dem etwa eine Packung hergestellt ist, oder der Fahrer, der das Papier transportiert. Wir wollen von Anfang bis Ende Transparenz gewährleisten, nicht zuletzt, weil wir davon überzeugt sind, dass KundInnen erst dann eine mündige Kaufentscheidung treffen können. Auf das Wesentliche zusammengefasst wollen wir erreichen, dass KonsumentInnen in der Lage sind, vier grundlegende Fragen in Bezug auf das von ihnen gewählte Produkt zu beantworten, nämlich:

  1. Welche Auswirkungen hat das Produkt und dessen Herstellung auf die soziale und gesellschaftliche Umgebung?
  2. Welche Auswirkungen hat das Produkt und dessen Herstellung auf die Umwelt und Natur?
  3. Welche Auswirkungen hat das Produkt und dessen Herstellung auf die Entwicklung und Potentialentfaltung von Menschen?
  4. Wie ist der wahre Preis des Produktes?

Erst wenn so viel Transparenz geschaffen wurde, dass diese vier Fragen zufriedenstellend beantwortet werden können, kann auch Sorge dafür getragen werden, dass die wirtschaftliche Aktivität weder Umwelt noch Menschen schadet, sondern sie stattdessen fördert.

Die Einbeziehung der vier Dimensionen in die transparente Sichtbarmachung ist einer der größten Unterschiede und Fortschritte im Vergleich zu anderen Standards. Der kulturelle Aspekt, also die Frage danach, wie ein Produkt sowohl die Potentialentfaltung der VerbraucherInnen als auch der ProduzentInnen beeinflusst, wird in der Produktion bislang wenig bis gar nicht berücksichtigt. EoL soll ein multidimensionaler Standard für eine ganzheitlich nachhaltige Entwicklung sein. Das heißt beispielsweise, dass ProduzentInnen immer Zugang zu regelmäßigen kulturellen Aktivitäten und Bildungsangeboten haben müssen, dass die lokale Kultur eingebunden und lebenslanges Lernen garantiert sein müssen. Die EoL-Zertifizierung bietet auch wichtige Erweiterungen zur Bio- oder Fairtrade-Zertifizierung. Denn Wasserverbrauch, CO2-Fußabdruck oder der Einsatz von erneuerbaren Energien sind ebenso wichtig für eine verantwortungsvolle Agrikultur. Und Bewusstseinsbildung, Förderung von menschlichem Potential oder Gemeinschaftsentwicklung sind für ethisches Wirtschaften von vergleichbarer Bedeutung wie ein faires Gehalt oder soziale Absicherung.

Über ein Rückverfolgungs-Tool wird die komplette Wertschöpfungskette für alle sichtbar gemacht. So gibt das Tool Auskunft über die Bauern und VerarbeiterInnen, aber auch zu Transport, dem ökologischen Fußabdruck, oder den tatsächlichen Kosten der Produktion (also Kosten, die für Wasserverbrauch, Wasseraufbereitung, Luftsäuberung, Energie oder CO2 Ausstoß anfallen, siehe dazu SVG 5). Diese tatsächlichen Produktionskosten werden im EoL-Standard erstmalig in Form einer Zertifizierung berücksichtigt.

Bis 2027 sollen alle unsere eigenen Produkte EoL-zertifiziert sein und möglichst viele unser Partnerunternehmen, die wir mit Rohstoffen beliefern. Außerdem soll EoL langfristig nicht nur Lebensmittel, sondern alle Produkte und Dienstleistungen zertifizieren. Wir wollen damit zeigen, dass eine nachhaltige Wirtschaft, die Umwelt und Menschen fördert anstelle sie auszubeuten, ebenso erfolgreich und finanziell lohnend sein kann wie ausbeuterische Modelle.

Inspiration: Wirtschaft der Liebe ist effizient und kostengünstig

Mit der Economy of Love-Zertifizierung wollen wir es VerbraucherInnen ermöglichen, Produkte vollkommen transparent zurückzuverfolgen und den tatsächlichen Preis zu kennen. KundInnen werden so ermächtigt, die richtige Kaufentscheidung zu treffen. Denn die aktuellen Preise spiegeln meist eine Illusion wieder. Dazu gibt es einen Barcode auf jedem Produkt, der zu unserer Website führt, wo umfangreiche Hintergrundinformationen zur Verfügung stehen. Über den EoL-Standard wird deutlich, dass die Preise in den Regalen nicht die realen Preise darstellen.

Als Beispiel sei unser Anis-Tee genannt. Vergleichen wir die Kosten von einer Schachtel SEKEM-Anis-Tee mit einem konventionellen Konkurrenzprodukt in Ägypten, können wir folgendes feststellen: Der konventionelle Tee kostet die VerbraucherInnen zwar rund 20 Prozent weniger (16 Ägyptische Pfund) als die gleiche Menge unseres Bio-Tees (20 Ägyptische Pfund); aber: Bei der Produktion kommt der Bio-Tee mit 25 Liter weniger Wasser aus und verunreinigt das Grundwasser nicht. Die Aufbereitung verschmutzten Wassers kann mit 5 Ägyptischen Pfund pro Packung kalkuliert werden. Außerdem werden bei dem Anis-Anbau für eine Schachtel Anistee in der Bio-Landwirtschaft rund 75 Gramm CO2 gebunden, während bei der konventionellen Landwirtschaft gar kein CO2 gebunden wird. Wenn die CO2-Emissionen bepreist würden, wie von der FAO vorgeschlagen, etwa mit einem Ägyptischen Pfund, würde dies das konventionelle Produkt um ein weiteres Pfund pro Schachtel teurer machen. Damit läge der Anis-Tee der konventionellen Konkurrenz bereits bei 22 Ägyptischen Pfund und wäre 10% teurer als unser EoL-zertifiziertes Produkt.

Quelle: Helmy Abouleish mit Christine Arlt: SEKEM, Inspirationen – Impulse für einen zukünftigen Wandel, ISBN 978-5-95779-165-8, Frankfurt am Main 2022, Kapitel „Vision (SVG 11): Wirtschaft der Liebe“

Sekems Vision für die künftige Landwirtschaft in Ägypten

Ägypten 2057: Die Bauern Ägyptens arbeiten in der Hauptausrichtung der Agrikultur nachhaltig, mit biologisch-dynamischen oder biologischen Methoden.

Zur Unterstützung der Bauern, die ihre Betriebe umstellen wollen, hat Sekem die „Egyptian Bio- Dynamic Association” (EBDA) gegründet. In enger Anbindung an die Biodynamic Federation (ehemals Demeter-International e.V.) werden die Kapazitäten der EBDA erweitert, um die
wachsende Anzahl an biologisch-dynamisch wirtschaftenden Bauern in Ägypten zu betreuen, die zu den wichtigsten Multiplikatoren für einen Wandel zählen. Wir erreichen hier bereits mehrere Tausend Landwirte und sind zuversichtlich, dass wir bis 2027 eine kritische Masse der sieben
Millionen ägyptischen Farmer erreicht haben, so dass ein sichtbarer Wandel in der Landwirtschaft stattfindet. Und in unserem “Wahat – Greening the Desert”-Projekt (siehe SVG 16) erproben wir, wie großflächig angelegte Wüstenbegrünungsmaßnahmen und Bio-Landwirtschaft auf ariden Böden wirtschaftlich lohnender und ertragreicher sind, als die unserer konventionellen Nachbarn. Ein Faktor dabei sind beispielsweise die Einnahmen durch die CO2- Bindung in Boden und Bäumen (siehe auch: Positive CO2-Bilanz in der Wüste).

Wir entwickeln gemeinsam mit der Biodynamic Federation Demeter International (BFDI) eine Strategie, die es bald allen Demeter-Bauern ermöglichen wird, ihre CO2-Bindung zu bestimmen und dafür einen finanziellen Ausgleich zu erhalten. Dies trägt dazu bei, dass eine  Umstellung auf biologisch-dynamische Landwirtschaft attraktiver wird und entsprechend mehr CO2 in der Agrikultur gebunden werden kann. Und das nicht nur in Ägypten, sondern weltweit (siehe dazu auch SVG 9: Klimaneutralität).

Unsere Vision zeigt aber bewusst nicht nur den Öko- oder Demeter-Landbau als Lösung auf. Wir sind der Meinung, dass etwa die Bio-Kriterien längst nicht ausreichen für einen wirklich nachhaltigen Umgang mit der Natur. Pestizidgrenzen, der Verzicht auf chemische Düngung oder
das Verbot von genmanipuliertem Saatgut sind zwar wichtige Grundlagen, aber nachhaltige Agrikultur beinhaltet weitaus mehr als das. So sind etwa der Humusgehalt im Boden, der Einsatz des richtigen Saatguts, CO2-Bindung, aber auch soziale Standards oder die Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen von Bedeutung, um wirklich nachhaltig agieren zu
können (siehe dazu auch SVG 11).

Für die erfolgreiche und weitreichende Umsetzung eines solch nachhaltigen Agrikultur-Ansatzes ist neben konkreten Praxisprojekten die Bewusstseinsbildung auf allen Ebenen von Bedeutung. Während die Schülerinnen und Schüler der Sekem-Schulen schon lange Landbau-Epochen und Projekte zum nachhaltigen Umgang mit der Umwelt und natürlichen Ressourcen auf dem Lehrplan haben, wollen Sekem und die Heliopolis Universität anderen Schulen in Ägypten ihre Erfahrung in der Integration von Lernkonzepten für nachhaltige Entwicklung zur Verfügung
stellen. Über das Sekem-Bio-Unternehmen ISIS Organic und die SEKEM-Marke finden Informationskampagnen für KonsumentInnen statt und auch die Sekem-Landwirte werden gezielt darin geschult, ihre Erfahrungen mit konventionellen KollegInnen zu teilen.

Inspiration: Bio-Landwirtschaft für 2500 Kleinbauern
Bis Ende des Jahres 2022 wollen wir mindestens 2500 Bauern in Ägypten in biologischdynamischen Anbau-Methoden geschult haben, so dass sie im Prozess der Umstellung von konventionell zu biologisch-dynamisch sind. Da nicht alle von Sekem direkt unter Vertrag genommen werden können, leisten wir Unterstützung in der Abnahme und Vermarktung der Produkte, insbesondere während der dreijährigen Umstellungsphase, in der die Produkte noch nicht zertifiziert werden können. Wir bieten ihnen außerdem an, ihre CO2-Bindung zu zertifizieren. Den Preis, den wir dafür zahlen erhöht ihr Einkommen zusätzlich. 2500 Bauern sind zwar nur ein minimaler Prozentsatz der insgesamt sieben Millionen Landwirte im Land, aber wir sind zuversichtlich, dass die zu erreichende kritische Masse auf die Verbreitung und den darauf ffolgenden Jahren großflächig voranschreitet.

Quelle: Helmy Abouleish mit Christine Arlt: SEKEM, Inspirationen – Impulse für einen zukünftigen Wandel, ISBN 978-3-95779-165-8, Info-3-Verlag, Frankfurt am Main 2022, Kapitel „Sekem-Vision (SVG 5)/ Agrikultur: Ägypten 2057“

Unsere Visionen von Sekem und Ägypten bis 2057 im Überblick

Liebe Leserinnen und Leser,
unser Partner Sekem in Ägypten und Firmenmitglied (https://shop.sekem.com) hat jetzt Visionen entwickelt, wie Ägypten in  Zukunft aussehen soll und was man selber dazu beitragen möchte. Es ist  einmalig, dass eine wirtschaftliche Initiative Visionen für einen ganzen  Kontinent entwirft und veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung der  Autoren des neuen Buches „SEKEM, Inspirationen – Impulse für einen zukünftigen Wandel“ berichten wir davon (siehe auch Rubrik 2/ Landwirtschaft und Handel in diesem Info-Brief).

Unsere Visionen von Sekem und Ägypten bis 2057 im Überblick

  • SEKEM 2057: Sekem ist ein internationales Kompetenzzentrum für ganzheitliche nachhaltige Transformation in Ägypten und der Welt. Um diese Vision in die  Wirklichkeit zu bringen, haben wir in den vier Dimensionen Kultur, Ökologie, Wirtschaft und soziales Leben Visionsziele für Ägypten formuliert. Wir nennen unsere Visionsziele Sekem Vision Goals, abgekürzt SVGs. Hier eine erste Übersicht. Alle Visionsziele werden im Verlauf des Buches noch ausführlich erläutert.

KULTUR

  • SVG 1: Individuelle Entwicklung ist das zentrale Anliegen in Ägyptens Bildungssystemen, und die Potenzialentfaltung jedes Menschen wird  ganzheitlich und lebenslang gefördert!
  • SVG 2: Es wird ein ganzheitliches Forschungsmodell entwickelt, das sowohl naturwissenschaftliche, geisteswissenschaftliche als auch spirituelle Aspekte berücksichtigt.
  • SVG 3: Ein integratives Verständnis von Gesundheit und Therapie ist im ägyptischen Gesundheitssektor etabliert und weit verbreitet.
  • SVG 4: Regionale, lokale und internationale Kunst- und Kulturaktivitäten sind lebendig, sie werden von der ägyptischen Bevölkerung geschätzt und mitgestaltet.

ÖKOLOGIE

  • SVG 5: Die Bauern Ägyptens arbeiten in der Hauptausrichtung der Agrikultur nachhaltig, mit biologisch-dynamischen oder biologischen Methoden.
  • SVG 6: Ägypten betreibt ein nachhaltiges Wasser-Management, das den
    Wasserverbrauch optimiert, Abwasser wiederverwendet und innovative
    Wassergewinnungsmethoden nutzt.
  • SVG 7: Ein nachhaltiges Energiekonzept auf Basis von erneuerbaren Energien und optimiertem Verbrauch findet in Ägypten Anwendung.
  • SVG 8: Die biologische Vielfalt in Ägypten ist nachhaltig, wächst und entfaltet sich.
  • SVG 9: Ägypten ist klimaneutral, denn es wird kein CO2 ausgestoßen, das die Natur nicht wiederaufnehmen kann.

WIRTSCHAFT

  • SVG 10: Die Unternehmen im Land praktizieren Kreislaufwirtschaft und Ägypten ist ein Vorzeigemodell für Abfallreduktion und -management.
  • SVG 11: Die Unternehmen in Ägypten arbeiten auf der Grundlage eines Standards der Wirtschaft der Liebe, der transparent ist und die tatsächlichen Kosten berücksichtigt.
  • SVG 12: Ägypten hat ein ethisches Bank- und Finanzwesen eingeführt.
  • SVG 13: Verantwortungsvoller Konsum und ein nachhaltiger Lebensstil sind Mainstream. Es gibt ein breites Angebot an nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen für alle Kundenbedürfnisse und sozialen Schichten.

SOZIALES LEBEN

  • SVG 14: In den unterschiedlichen Institutionen gibt es lebendige und agile
    Organisationsstrukturen, die der Bewusstseinsentwicklung dienen.
  • SVG 15: Ägypten zelebriert Vielfalt und gewährleistet Chancengleichheit für alle unabhängig von Alter, Nationalität, Religion oder Geschlecht.
  • SVG 16: In Ägypten hat eine gesellschaftliche Transformation  stattgefunden, die zu einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung und regenerativen Städten geführt hat. Dies ermöglicht, dass die Menschen sich befähigt und verantwortlich fühlen, die Zukunft ihres Landes zu gestalten.

Um unsere Ziele umzusetzen und zur Realisierung der Vision beizutragen, haben wir in allen Bereichen Visionsgruppen gegründet, die sich auf geistiger Ebene mit dem großen Leitbild hinter den Zielen befassen, Ideen entwickeln und die Vision präzisieren. Zur Umsetzung der Ideen gibt
es wiederum in jedem Bereich Center mit Fachleuten und angewandter Forschung, die mit der Realisierung betraut sind und dafür Sorge tragen, dass sich das Leitbild mit den Köpfen, Herzen und Händen der Menschen verbinden kann. In dieser Phase wollen wir herausfinden, wie wir die
Vision verwirklichen können. Es werden Modelle und Werkzeuge entwickelt für Prototypen, die es zu testen gilt. Diese Modelle werden so kreiert, dass es möglichst einfach ist, sie weitflächig zu übernehmen, damit sie bald systemrelevant werden können.

Quelle: Helmy Abouleish mit Christine Arlt: SEKEM, Inspirationen – Impulse für einen zukünftigen Wandel, ISBN 978-3-95779-165-8, Info 3 Verlag, Frankfurt am Main 2022

Mit herzlichen Grüßen
Ihr Wolfgang Ritter