Zeit der Krisen – Wohin gehen wir? Wie geht es weiter?

Auszug aus einem Beitrag von Engelhard Troll in Rundbrief Demeter Bayern 03-2021

Das gesellschaftliche Leben steht ganz im Zeichen von Corona. Die öffentliche Debatte versteigt sich zu detaillierten Einzelheiten von Impfstoffbestellung, Impfstrategie, Berechnungsarten für das Infektionsgeschehen, staatliche Hilfen für geschlossene Betriebe und Grenzkontrollen. Dazwischen wird oft der sehnliche Wunsch nach einer baldigen Rückkehr zur Normalität hörbar. (Eine lohnende Fragestellung: wie war diese ersehnte Normalität eigentlich? Und zwar in Bezug auf soziale Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, Ressourcenverbrauch und Friedenssicherung.) Bundeskanzlerin Angela Merkel geht hier noch einen Schritt weiter, wie es ihr als Regierungschefin auch gebührt: „Aus der Coronakrise müssen die notwendigen Lehren gezogen werden und schnell umgesetzt werden, in erster Linie nannte sie die Digitalisierung.“

Der Betreiber des Weltwirtschaftsforums in Davos, Klaus Schwab, hat hierzu auch veröffentlicht: „Covid 19 – The Great Reset“. Zu Deutsch erschienen als „Der große Umbruch“. Die Beschäftigung mit den wirtschaftlichen Folgen weltweit ist auch überfällig.
Jeder fragt sich, woher soll das Geld kommen? Was passiert nach den befürchteten Insolvenzen, auch besonders im breiten Mittelstand? Wie können die Arbeitskräfte aus brachliegenden Branchen wechseln und überhaupt wohin? Und wie werden notwendige Maßnahmen überhaupt diskutiert, beschlossen und durchgesetzt? Das Wort von der Zwangsverwaltung kam schon bei der Impfstoffproduktion.

Viele der im Buch angedachten Neuerungen erscheinen wie ein Spiegelbild von Vorschlägen aus dem anthroposophischen Sozialimpuls, der jetzt 100 Jahre zurückliegt. In der Zeit nach dem Zusammenbruch der mitteleuropäischen gut tausendjährigen Dynastien mit dem Ende des ersten Weltkriegs wandte sich Steiner mit dem Vorschlag des Dreigliederungsimpulses vergeblich an relevante Führer. Ein Beispiel ist die angestrebte Abschaffung des bisherigen reservegedeckten Bargeldes und der Ersatz durch ein beliebig vermehrbares digitales „Helikoptergeld“, das ausschließlich ein Verbrauchsgeld ist, aber keine Wertanlage zulässt. Die Idee des Schwundgeldes findet sich in Wörgl, bei Margret Kennedy, bei den Konzepten von Chiemgauer und anderen Regionalgeldern: Geld soll nicht „altern“ sondern ausgegeben werden. Und Zinszahlungen werden hier auch abgelehnt. Wer hierzu mehr erfahren möchte: In „Die Drei, 12/2020“ schreibt Stephan Eisenhut dazu, im Internet unter https://youtu.be/9PYPf_1aV3U. Warum betreffen uns diese Dinge hier? Weil in einer Umbruchsituation wie dieser die Weichen neu gestellt werden. Dazu muss sich jeder Gedanken machen, nicht nur zu Infektionsraten und Intensivbetten. Durch Umbruchprozesse und die Risse der Krisen kann das Licht eintreten (Leonhard Cohen).

Ein Zurück zur „normalen“ Normalität darf es nicht geben
Als vor 100 Jahren sich Persönlichkeiten fanden, die Landwirtschaft aus einem Organismusdenken heraus neu zu greifen, die Natur nicht auszubeuten, sondern zu steigern, arbeiten sehr viele Menschen an diesem Ziel, und es werden immer wieder neue Gefährdungen, Notwendigkeiten und Chancen sichtbar. Humusabbau, Nahrungsqualität, Artensterben, radioaktive Bedrohung, Elektrosmog, Pestizide und Klimakrise. Dazu müssen unsere Lösungsansätze in die Diskussion gebracht werden, um diese überhaupt zu eröffnen und auch zu beeinflussen. Professor Barbara Prainsack plädierte heute, am 28. Februar 2021, in Österreich 1 für neue Konzepte im Wirtschafts- und Sozialsystem, Arbeitswelt, Wohnungswesen und Klimafragen. Für einen grundlegenden Kurswechsel, kein Zurück zur normalen Normalität. Hin zu nachhaltigem und gerechtem Wirtschaften. Neubewertung der unbezahlten Arbeit in der Gesellschaft (Hausarbeit, Ehrenamt etc.). Aus Umfragen zitiert sie 70 %, die weniger konsumieren und nicht mehr so sinnlos rumfahren wollen! Und sie erklärt das Einmaleins des bedingungslosen Grundeinkommens.
Der Ökologische, soziale und spirituelle Neuanfang – sofort!

Ein zentrales Feld wird sein, eine neue Harmonie im Naturhaushalt anzustreben, insbesondere Biodiversität zu sichern. Besonders viele Mutationen von Mikroorganismen entstehen nicht nur auf chinesischen Tiermärkten, sondern auch in unseren Massentierhaltungen mit Medikamenteneinsatz, allen Milieus, wo Desinfektionsmittel, Pestizide und jegliche künstliche Fremdstoffe eingesetzt werden. Diesen Masterplan für das Gestalten der Natur aus einem Gesamtverständnis heraus zu schaffen fordert exakt die Kernkompetenzen der biodynamischen Landwirtschaft. Das ist es, woran wir fast 100 Jahre gearbeitet haben.
Quelle: Rundbrief Demeter Bayern 03-2021

Landwirtschaft in der Mitte der Gesellschaft 2

(Teil 1 in Info-Brief 64)
Eine alte Idee und neue Entwicklungen

Auch eine Ausbildungsfrage
Einen tieferliegenden Grund für unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem findet Eisenhut (Aufsatz im Heft 5 der Zeitschrift Die Drei, die Red.) im Denken der bestimmenden Führungseliten: „Ein Denken, das sich nur auf das Äußere konzentriert, wird für die Gestaltung von Wirtschaftsprozessen im Allgemeinen als sehr praktisch angesehen. Daß es schleichend korrumpierend wirkt, wird nicht bemerkt. Genau diese Art des Denkens gibt Steiner . . . als Grund dafür an, warum es so schwer ist, Menschen zu finden, die einen Assoziations-Bildungsprozeß in Gang setzen können: Solche Leute sind heute außerordentlich schwer zu finden, aus dem einfachen Grunde, weil aus dem wirtschaftlichen Leben heraus sich die Usance gebildet hat, daß der junge Mensch sich eigentlich von außen her trainieren läßt. Er läßt sich irgendwo hineinbringen in ein Geschäft, und indem er eigentlich mit seinen Gedanken irgendwo anders bei einem geistigen Leben ist, manchmal bei einem sehr guten, trägt er aber den Geist nicht in sein Geschäft hinein. Da ist er mit seiner Seele nicht dabei, da läßt er sich trainieren von außen, da läßt er sich geschäftlich routiniert machen; dann läßt er sich schicken irgendwohin, nach Amerika oder London, und da wird er weiter trainiert. Nachher weiß er, wie man es macht, und dann geht er zurück, und dann treibt er dies oder jenes.“(GA 337b, S. 206). Eine eigentlich geniale Formulierung, die Steiner hier für das Ergebnis der Ausbildung findet: „Er treibt diese oder jenes“, das ist die Unverbindlichkeit, die Beliebigkeit, die heute angesichts der bevorstehenden globalen Katastrophen zur Verantwortungslosigkeit angeschwollen ist.

Die Landwirtschaft trägt alles
Zum Abschluss entwickelt Eisenhut als Gegenentwurf zum bestehenden Dreisektorenmodell der Wirtschaft ein Fünfsektorenmodell, wo diesmal die Landwirtschaft in der Mitte des Wirtschaftslebens steht. Dies erscheint zunächst als völlig realitätsfern und aussichtslos, ist es aber nicht. Bei den intensiven Verhandlungen am Runden Tisch in Bayern nach dem überwältigenden Erfolg des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ konnten alle Beteiligten einschließlich des bayerischen Bauernverbandes es vor Augen sehen: Die Landwirtschaft steht hier mitten in der relevanten Verantwortung, nicht einige verschrobene Steingartenbesitzer, Kreuzfahrtteilnehmer oder Rasenmähroboterfetischisten, wie es der Bauernverband zunächst propagierte. Diese deutliche Wahrnehmung gilt es festzuhalten, diese erkannte Verantwortung in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext und Konsens einzubauen, so auch die Worte des Ministerpräsidenten, aber noch viel weiter darüber hinaus mit der entscheidenden Relevanz im Wirtschaftlichen, die dazukommen muss.
Quelle: Engelhard Troll in: Demeter Bayern, Rundbrief Juni 2019

Landwirtschaft in der Mitte der Gesellschaft, Teil 1 (Teil 2 in Info-Brief 65)

Eine alte Idee und neue Entwicklungen, Beitrag von Engelhard Troll

Der vorliegende Artikel beschreibt die Schwierigkeiten, die bei der Assoziationsbildung auftreten, und zeigt, dass diese nicht zuletzt in der Form des gewöhnlichen Denkens liegen, mit der meist versucht wird, sogenannte „praktische“ Lösungen zu finden.“

Richtige Preise im falschen System?
„Praktischen Lösungen“ (sind zum Beispiel) auch solche Erzeuger-Verbraucher-Zusammenschlüsse wie die food-coops der späten 68er, das Abokistensystem, Modelle der solidarischen Landwirtschaft, aber auch solche Teillösungen, wie fairer Handel und das Maßnahmenpaket der neuen Demeter-Vertriebsstrategie. Hier sieht Eisenhut es als problematisch an, dass es sich um Insellösungen handelt, sobald ich als Erzeuger meinen durchaus gerechten Preis eingenommen habe, verlasse ich beim Beschaffen von Betriebsmitteln, Maschinen und Gütern des eigenen Bedarfs, z.B. von Kleidung, aber auch bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder dem Zahlen von Steuern diesen „geschützten“ assoziativen Bereich. So stellt er die weitergehende Idee der Assoziation die einer beschränkten Konsumgenossenschaft gegenüber und formuliert provozierend: „Richtige Preise im falschen System?“ „Doch warum müssen solche Initiativen im bestehenden Wirtschaftssystem relativ schnell an ihre Grenzen kommen? . . . Weil hier nur eine einseitige Organisation innerhalb einer Branche vorliegt. Er kommt zu dem Resümee seiner großen Entschuldigung vor den zukünftigen Generationen, wir müssen es machen wie ein Bauer: Der schaut die Wurzeln an, wenn der Baum krank ist, nicht die Zweige, das sind die Regierungen, Politiker und Konzerne.

Deshalb wird man auch innerhalb der Lebensmittelbranche zu keiner wirklichen Assoziationsbildung kommen, wenn nicht daran gearbeitet wird, wie die Preise der Lebensmittel sich zu den Preisen der Erzeugnisse anderer Branchen verhalten. Dieses Preis-Leistungsverhältnis der Branchen untereinander wird nicht zuletzt davon bestimmt, wieviel Menschen in einer Branche beschäftigt sind.

Unsinnige Beschäftigungsstrukturen – „bullshit-jobs“
Nun beschreibt Eisenhut die Rolle der Landwirtschaft im üblichen Drei-Sektorenmodell, im ersten Sektor, der Urproduktion, nimmt sie einen minimalen Randbereich ein mit 0,619 Mio. Erwerbstätigen. Im zweiten Sektor, dem produzierenden Gewerbe, arbeiten in Handwerk und Industrie 10,5 Mio. Erwerbstätige, im tertiären Sektor der Dienstleistungen die restlichen 32,5 Mio. Menschen. Nun verweist Eisenhut auf ein Buch des an der London School of Economics lehrenden David Graeber (Bullshit-Jobs – Vom wahren Sinn der Arbeit, Stuttgart 2018). Graeber beschreibt auf S. 40 „eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos, unnötig oder gefährlich ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei das nicht der Fall“. Vor allem in aufgeblähten Verwaltungen größerer Unternehmen und staatlicher Behörden, aber auch besonders bei Finanzdienstleistungen.

Warum hat das eine Auswirkung auf die Landwirtshaft? Weil das Gleichgewicht gestört wird, das Geld als objektiver Maßstab der Leistungsbewertung nicht mehr geeignet ist. Und er zeigt eine andere Möglichkeit auf, um das zu verdeutlichen: „Gesamtwirtschaftlich würde überhaupt keine Verteuerung eintreten, wenn in Deutschland statt 0,6 Millionen Menschen 3,5 Millionen in der Landwirtschaft tätig wären und dafür Sorge trügen, dass der Boden nachhaltig bearbeitet wird, so dass er seine Fruchtbarkeit erhält, dass die Insekten- und Vogelwelt richtig leben kann, dass die Tierhaltung von Achtsamkeit geprägt ist usw. Diese Landwirte könnten alle ein ausreichendes Einkommen haben, und es würde genügend Geld für eine gründliche und Freude bereitende Ausbildung vorhanden sein – wenn es nur gelänge, die „bullshit-Jobs“, die kein Mensch braucht, zu eliminieren. Der Einzelne müsste dann zwar einen größeren Teil seines Einkommens für die Ernährung aufwenden, dies würde jedoch dadurch kompensiert, dass andere Ausgaben niedriger ausfielen. Genau das ist aber das Ziel einer assoziativen Wirtschaft. Denn diese arbeitet darauf hin, den gegenseitigen Wert der menschlichen Arbeitsprodukte herauszufinden“.
Quelle: Demeter Bayern, Rundbrief Nr. 143, Juni 2019